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Schriftsteller Schriftsteller: Das Wüten der Welt

Von Christian Eger 24.11.2005, 19:32

Weimar/MZ. - Thürk konnte fluchen, druckreif und eigenwillig. Auf den Kommunismus zum Beispiel: "Ich weiß schon lange nicht mehr, was das sein soll. Das ist eine Illusion, die sich tot gelaufen hat. Im übrigen an sich selber." So klang er 1997. Wut auf die DDR sogar: "Eine vernünftige Gesellschaft in einer sowjetischen Kronkolonie - unmöglich!" Und auf den Lungenkrebs, der den in Weimar lebenden Erfolgsschriftsteller seit Ende der 90er Jahre nicht mehr loslassen wollte.

Auch ein Vertriebener

Wut auch auf sich selbst, darauf, bis Mitte der 80er Jahre als SED-linientreuer, gern auch scharfmacherischer Genosse und Schriftstellerverbands-Chef in den Bezirken Erfurt und Gera vorgeprescht zu sein oder an den falschen Stellen nachgegeben zu haben. "Das Wüten der ganzen Welt" nannte der Niederländer Maarten t'Haart einen seiner erfolgreichen Krimis; es hätte auch ein Werktitel des späten Harry Thürk sein können. Des Vertriebenensohnes, der 1927 im oberschlesischen Zülz geboren wurde, als Soldat des Fallschirm-Panzer-Korps "Hermann Göring" in den Krieg zog, vor den Russen zurück nach Oberschlesien floh, dort von der polnischen Polizei festgenommen und zur Zwangsarbeit befohlen wurde. Noch einmal floh. Diesmal nach Westen.

Der in Weimar landete, wo sich der junge Mann als Heizer im Thüringer Ministerium für Kultur durchschlug. Hier traf er den großen Erzähler Theodor Plivier, der Romane wie "Stalingrad" (1945) oder "Der Kaiser ging, die Generäle blieben" (1932) vorgelegt hatte. Thürk wurde Schriftsteller wie Plivier, aber kein "Renegat" wie dieser. Thürks Grunderfahrung findet sich in seinem autobiografisch intendierten Weltkriegsroman "Die Stunden der toten Augen" (1957): "Ich glaube, es ist nie zuvor eine Generation so zerbrochen gewesen wie wir".

Mehr als 40 Politabenteuerbücher seitdem, Weltgesamtauflage fünf Millionen Exemplare. Alle großen DDR-Verdienstorden bis 1980 - und 1994 der "Kunstpreis des Bundes der Vertriebenen". Dass er der "Konsalik des Ostens" gewesen sei, ist oft zu hören; das ist Unsinn. Er hätte der Graham Greene oder Norman Mailer sein wollen; letzteres war er im Ansatz auch.

Auf Linie gebracht

Einer, der gut startete, scharf gebremst wurde, parteifromm weiterwurstelte. Es gab diese DDR-Schicksale in allen Sparten der Kunst. Thürk wurde von der Kultur-Funktionärin Eva Strittmatter auf Linie gebracht, als "Vertreter der preußischen Unteroffizierskaste" abgestraft für den Roman von 1957. Fortan schrieb Thürk über Fernost statt das Naheliegende.

Oder das Anti-Solshenyzin-Machwerk "Der Gaukler"; ein Buch, für das er sich zuletzt geschämt hat. Die Wende hatte für ihn, der 1997 sogar ein Buch über den "Zwiebelmarkt zu Weimar" vorlegte, auch "viel Erlösendes", wie er sagte. Gestern ist Harry Thürk im Alter von 78 Jahren in Weimar gestorben.