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Schneewittchen Schneewittchen: Schreien statt flüstern

Von Steffen Könau 31.08.2012, 16:35

Halle (Saale)/MZ. - Angst vor dem Auffallen sieht jedenfalls anders aus. Wenn Marianne Iser in ihre Rolle als Frontfrau der Band Schneewittchen schlüpft, verwandelt sich die Magdeburgerin in eine Mischung aus Vamp, Prinzessin und Kiss-Sänger: Um die Augen schminkt sie sich ein Aderngeflecht aus Pink, Weiß und Schwarz, die Haare werden zur wild verwuschelten Mähne, der Tüllrock ist rot oder weiß und das Oberteil lässt die Sängerin dafür lieber einmal weg.

Schreien statt Flüstern ist auch das Motto auf dem fünften Album, das Iser in dieser Woche gemeinsam mit ihrem langjährigen Bandkollegen Thomas Duda veröffentlich hat. "Keine Sekunde Schweigen" heißt das Werk, das beim Riesen Sony erscheint und trotz des märchenhaften Bandnamens alles andere als leichte Kost enthält.

Denn Schneewittchen, vor zehn Jahren aus einem bis dahin schlicht Iser / Duda genannten Kleinkunstduo hervorgegangen, ist längst mehr Punk als Chanson, längst mehr frühe Nina Hagen als leichtes "Schub dubi dub da", wie Duda und Iser einen Song auf ihrem Debütalbum nannten.

Hier geht es hart zur Sache, auch wenn die musikalische Umsetzung stets Thomas Dudas Herkommen aus dem Elektrobereich verrät. Schon im Titelsong öffnet sich eine mitreißende Bassmelodie binnen Sekunden zu einem alptraumhaften Panorama aus Lüge, Verrat und Wahnsinn. Marianne Iser singt nicht einfach nur ihren Text, sie inszeniert zwischen metallisch federnden Saiten einen Lebenslauf voller Scheitern und Verrücktheit. "Wollt ihr mir immer noch erzählen, was in meinem Leben fehlt, was ich tun und lassen muss, dass es endlich funktioniert?"

Ein Schrei folgt, der durch Mark und Bein geht und alle Zweifel beiseite wischt, was das hier ist. Kein Unterhaltungspop, kein Liedermacherstreichelzoo. Duda, bei Schneewittchen für die Musik zuständig, und Iser, die alle Texte schreibt, meinen es ernst mit dem finsteren Humor, ernst mit den opernhaften Anflügen, ernst mit dem affektierten Operettenpunk, den so derzeit keine andere Band in Deutschland zustande bringt.

Das verdankt sich natürlich vor allem dieser Marianne Iser, die nicht nur singen kann wie die Hagen, sondern auch deren Charisma in der Kehle trägt. Mal grollt sie dunkel wie in "Fürchte Dich nicht", mal schwelgt sie im Tamara-Danz-Stil zum leise klingelnden Klavier wie in der Ballade "Zwischen Bauchnabel und Brust".

Vom aktuellen Deutschrock ist das so weit weg wie seinerzeit die Neonbabys, aber auf Hitparadenplätze und Stadionkonzerte schielt das inzwischen in Hannover beheimatete Duo gar nicht. Hier geht es um existentielle Fragen, um Leben und Tod, um Gut und Böse. "Du musst an dich glauben", fleht Iser und Duda legt ihr ein paar einfache, aber äußerst effektive Klavierakkorde zu Füßen, ehe der Refrain sich wuchtig in die Höhe schwingt.

Das ist alles unheimlich theatralisch, aber schließlich arbeiteten Iser und Duda erst letztes Jahr an der Oper Magdeburg mit dem kubanischen Choreografen Gonzalo Galuera zusammen an einem Theaterstück. Dieses Album ähnelt einer solchen Inszenierung mit ihren leichtfüßigen Ballettschritten und kratzbürstigen Texten, die nach hinten zu immer öfter auf die muskelpralle Instrumentierung des ersten Drittels verzichten. "Es reicht nicht für 'ne Irre", konstatiert Marianne Iser im zarten "Ist das schon alles gewesen?", nachdem sie eben noch gefordert hatte "Töte mich ganz". Man kann nicht beides haben. Aber beides singen.

Schneewittchen live: 17.11. Magdeburg - Feuerwache 30.12. Leipzig - Theaterfabrik