Schillerjahr 2005 Schillerjahr 2005: Goethe und Schiller verband zu Anfang eine Hassliebe

Weimar/dpa. - Bei zufälligen Begegnungen beachteten sich beide kaum. «Goethe warder Dichter der "Räuber" verhasst», sagt der Direktor des Goethe- undSchiller-Archivs in Weimar, Jochen Golz. Und auch Schiller habe eineArt «Hassliebe» zu dem Weimarer Geheimrat empfunden. In einem Briefan Christian Gottfried Körner schrieb er, man müsse Goethe behandelnwie eine prüde Schöne, der man ein Kind mache. Erst den HistorikerSchiller respektierte Goethe und verhalf ihm 1789 an der UniversitätJena zu einer unbesoldeten Professur für Philosophie. Schillersberühmte Antrittsrede «Was heißt und zu welchem Ende studiert manUniversalgeschichte?» ist bis heute ein Vergnügen zu lesen.
«Schicksalhaft für beide Dichtergrößen wurde eine Sitzung derNaturforschenden Gesellschaft im Juli 1794 in Jena», erzählt Golz.Als «glückliches Ereignis» schilderte Goethe später jene folgenreicheBegegnung, als er im Gespräch erkannte, welch genialer Kopf der Sohneines Wundarztes und Offiziers war. «Bis heute rätseln dieWissenschaftler, ob Schiller das Aufeinandertreffen am Ausgangbewusst gesucht hat. Aber er wird es schon gesteuert haben», ist sichder Literaturwissenschaftler sicher, der auch Präsident derInternationalen Goethe-Gesellschaft ist.
«Glückliches Ereignis» ist deshalb auch die kleine, aber feineSonderausstellung überschrieben, die vom 13. bis 21. Mai im Goethe-und Schiller-Archiv anhand des Briefwechsels die intensiveDichterfreundschaft dokumentiert. «1015 Briefe und Billetts gingenvon 1794 an zwischen beiden her, die meisten sind in unserem Besitz.»Nur für wenige Tage holen die Literaturwissenschaftler 45 kostbare,vom Zahn der Zeit angegriffene Originalbriefe aus dem Tresor hervor,obwohl in diesen Monaten in Weimar und im nahen Jena alles«schillert» und «lockt». Hunderte von Veranstaltungen beschäftigensich mit der Bedeutung des Dichters.
Zwar gehört Schiller neben Brecht und Shakespeare zu denmeistgespielten Autoren in Deutschland. Und obwohl Generationen«Kabale und Liebe» gelesen, Balladen wie «Der Taucher» und «DerHandschuh» auswendig lernten oder - oft unbewusst - Schiller-Zitateverwenden, ist er vielen ein nahezu Unbekannter. Nach Meinung vonWeimars Kunstfest-Intendantin Nike Wagner müssen die meistenDeutschen erst wieder lernen, die Werke von Friedrich Schiller zuverstehen. «Wir tun alle so, als hätten wir ihn ständig gelesen»,sagte die Urenkelin Richard Wagners. Tatsächlich aber sei derSprachen- und Gedankenreichtum des Dichters heute vielen Menschenfern.
Bei einem Wettbewerb zu berühmten Zitaten aus Schillers Werken wie«Die Axt im Haus erspart den Zimmermann» oder «Durch diese hohleGasse muss er kommen» schickt die Stiftung Weimarer Klassik Kinderauf Entdeckungsreise. Die Resonanz ist groß, berichtetMuseumspädagogin Christine Ganß. Zeichnerisch setzen sich die Kindermit den von ihnen gefundenen Zitaten auseinander. Sie können auchSpielregeln und Figuren zu einem Post- und Reisespiel erfinden, dassich Friedrich Schillers Sohn Ernst ausgedacht hat. «Wir sindgespannt, wie viele Arbeiten für eine Ausstellung im Sommer zurückkommen», sagt die 50 Jahre alte Lehrerin.
Bei einem Rundgang durch die kleinen Räume von Schillers Wohnhauserzählt sie aufmerksam lauschenden Zehnjährigen wie die Familie lebteund Gäste empfing. Die erste Etage war Frau Charlotte mit den vierKindern vorbehalten. In der Mansarde hatte Schiller seinen Schlaf-und Arbeitsraum. Trotz seiner schweren Erkrankungen habe er immerweiter eisern gearbeitet, erzählt sie. Meist stand er sehr spät aufund arbeitete bis tief in die Nacht. Am 9. Mai 1805 stirbt derMittvierziger über der Arbeit am «Demetrius». Nur drei Jahre hatteder oft unter Geldknappheit leidende Dichter das 1777 erbauteBürgerhaus genießen können. Es ist im Vergleich zu Goethes nahemAnwesen mit großem Garten eher bescheiden.
«200 Jahre nach Schillers Tod zieht es auffällig viel mehrBesucher in sein Wohnhaus», sagt Angela Jahn, Sprecherin der StiftungWeimarer Klassik. 7700 Besucher, darunter viele Schüler undJugendliche, waren es allein im März 2005. Ein Jahr zuvor kamen nur4700. Zumeist kommen sie aus Deutschland. Ein Besuchermagnet fürTouristen aus aller Welt wie Goethe sei Schiller derzeit nicht, meintJahn.
Das soll sich jetzt etwas ändern: «ZeitGenosse Schiller» ist dieWeimarer Projektreihe überschrieben, in deren Mittelpunkt dieAktualität der Schillerschen Dramen steht. Im leer stehendenSchillermuseum baut die Klassikerstiftung gerade ihre großeJubiläumsausstellung zu den Schillerschen Helden auf. Und wer heute«Held» sein will, kann vom 22. April an auf einer «Helden-Empore» inder Schillerstraße rezitieren, singen oder auf andere Art dieAktualität der Gedanken des Dichters demonstrieren.
Als der tote Schiller in der Mitternachtsstunde vom 11. zum 12.Mai 1805 in einem «billig gezimmerten Sarg» durch die leeren GassenWeimars zum Jakobfriedhof getragen wird, ist Dichterfreund Goethenicht dabei. Daraus abzuleiten, der Tod habe ihn wenig berührt, seiunsinnig, sagt Literaturwissenschaftler Golz. «Seine Trauer war tiefund wahrhaftig.» Goethe hasste Beerdigungen und blieb sowohl denTrauerfeiern für seine Eltern, als auch der seiner Frau Christiane1816 fern. Zudem waren Beerdigungen zu nächtlicher Zeit ohne großeFeiern üblich. Erst Monate später kondoliert Goethe der Familievoller Schmerz über den Verlust.
1825 bezeichnete er die Briefe Schillers in einem Gespräch mitseinem Sekretär Johann Peter Eckermann als «schönste Andenken, dasich von ihm besitze.» 1828 bis 1829 veröffentlichte er seinenBriefwechsel mit Schiller. Die Briefe legen Zeugnis ab von derVielfalt der Themen und Ideen, die beide zwischen 1794 und 1805erörterten. Auch Persönliches und Familiäres wie Mitteilungen überKrankheiten, Glückwünsche zu Geburtstagen und Taufen wurdeausgetauscht.
Bei einem Treffen 1794 hatten beide die Fronten geklärt. «Wirwissen nun, mein werthester, aus unsrer vierzehntägigen Conferenz:daß wir in Principien einig sind und daß die Kreise unsersEmpfindens, Denckens und Wirckens theils coincidiren, theils sichberühren, daraus wird sich für beyde gar mancherley Gutes ergeben»,schrieb Goethe danach an Schiller. Erstes gemeinsames Projekt war dieZeitschrift «Horen». Auf Anregung Schillers nahm Goethe nach Jahrenseine Arbeit am «Faust» wieder auf. Schiller nahm regen Anteil anGoethes Roman «Wilhelm Meisters Lehrjahre» und gab kritische Hinweisezum Gelesenen.
Schiller bat wiederum Goethe 1798 um Rat über das Wahrsagungsmotivfür Wallenstein. Er war im Zweifel, ob er sich für einenastrologischen Spiegel oder ein Buchstabenorakel entscheiden sollte.Goethe riet vom Buchstabenorakel ab, weil damit der «moderne Orakel-Aberglaube» bedient würde. Als Weimarer Theaterdirektor griff er auchaktiv bei der Uraufführung in den Prolog vom «Wallenstein» ein.Goethe überließ Schiller nach einer Reise in die Schweiz den Tell-Stoff. Obwohl niemals in der Schweiz gewesen, schilderte der bereitsschwer kranke Schiller den Freiheitskampf der Schweizer so brillant,dass der legendäre Rütlischwur «Wir wollen sein ein einig Volk vonBrüdern, in keiner Not uns trennen und Gefahr» das Freiheitsgefühlvieler Generationen bis heute trifft.
Das 1804 in Weimar uraufgeführte Stück war die letzte großegemeinsame Theaterarbeit beider. Im Juli 1804 erkrankte Schillerschwer und erlitt im Februar 1805 wieder schwere Fieberanfälle undKrämpfe. Goethe, ebenfalls schwer erkrankt, erkundigte sich am 22.Februar 1805 nach seinem Befinden. Noch am gleichen Tag antworteteSchiller. «Es ist mir erfreulich wieder ein paar Zeilen Ihrer Hand zusehen, und es belebt wieder meinen Glauben, daß die alten Zeitenzurükkommen können, woran ich manchmal ganz verzage.»
Am 1. Mai 1805 besuchte Schiller zum letzen Mal das Theater. Aufdem Weg dorthin begegnen sich die beiden sonst so unterschiedlichenDichter ein letztes Mal. «Ein Mißbehagen hinderte mich, ihn zubegleiten, und so schieden wir vor seiner Haustüre, um uns niemalswiederzusehen», schrieb Goethe rückblickend. Wenige Wochen nach demTod des Dichterfreundes beschloss Goethe, «Das Lied von der Glocke»dramatisch aufzuführen. Der Plan, den «Demetrius» zu vollenden,schlug fehl.
Als Schillers Sarg 1826 aus der Sammelgruft gehoben wurde, ließsich Goethe ein halbes Jahr danach den vermeintlichen Totenschädelseines Freundes in sein Wohnhaus bringen, wo die «heilige Reliquie»auf einem blausamtenen Kissen Monate lang blieb. 1827 kam der Schädelmit anderen Gebeinen, die Schiller zugeschrieben wurden, in dieFürstengruft. Dort liegen sie in einem Eichenholz-Sarkophag neben demGoethes. Die Todesmaske Schillers wurde im September 2004 bei demverheerenden Brand im Rokokosaal der Herzogin Anna Amalia Bibliothekbeschädigt. Sie wird derzeit nach Angaben von Angela Jahn in Berlinrestauriert und soll danach wieder an ihren angestammten Platzkommen.