Rudolf Bahro Rudolf Bahro: Sinnsucher bis zum Schluss
Halle/MZ. - Und wenn er mal richtig unvernünftig war, dann machte er schon ein Uhr morgens mit der Arbeit Schluss und hörte mit seiner dritten Frau Maria Lehnert noch ein paar Platten. Das war Rudolf Bahro, der Kommunist, der die DDR das Fürchten lehrte.
Maria Lehnert, 58 Jahre alt, hat nicht viel behalten. Die Akten des 1997 Verstorbenen hat sie an die grünennahe Heinrich-Böll-Stiftung gegeben. Ein paar Bücher sind noch da, ein paar Fotos. Und ganz, ganz viele Erinnerungen.
Ihre Geschichte mit Rudolf Bahro beginnt im Juni 1978, sie kennt ihn nur aus dem Westfernsehen. "Er war ein Stück Hoffnung", sagt die Frau, die ihre Heimat damals in der jungen Friedensbewegung hat, über Bahro. Doch die Hoffnung stirbt schnell.
Der studierte Philosoph, der sich längst von der SED abgewandt hat, ist gerade zu acht Jahren Haft verurteilt worden. Die "landesverräterische Sammlung von Nachrichten" ist ihm zur Last gelegt worden. Bahro hat vorher sein von der DDR-Führung als regimekritisch verstandenes Buch "Die Alternative" veröffentlicht. Internationale Proteste gegen die Inhaftierung in Bautzen sind die Folge, ein Jahr später wird Bahro amnestiert und in den Westen abgeschoben.
Es dauert zehn Jahre, es dauert bis zum Dezember 1989, ehe Bahro die DDR wieder betreten darf. Sein Anwalt von einst heißt Gregor Gysi, und der schickt sich an, Chef der alten und neuen SED-PDS zu werden. "Er hat ihn gebeten, auf dem Parteitag zu sprechen", erzählt Maria Lehnert. Bahro kommt sofort.
Er ist in jenen Monaten des Umbruchs voller Elan. Von den Grünen, die er 1980 mitgründete, hat er sich inzwischen abgewandt, sie sind ihm zu sehr Partei, zu sehr bürgerlich geworden. Bahro setzt seine Hoffnung auf eine DDR des "dritten Weges". Eine DDR, deren Menschen Idealisten sind und "überschüssiges Bewusstsein" haben. Bahro will Kommunen gründen, er sieht die Umweltkrise als Inweltkrise. "Er war überzeugt, dass ein Ende der Zerstörung nur durch Reduzierung des allgemeines Verbrauchs zu erreichen ist."
Mit Maria Lehnert, die er Anfang 1990 bei einem seiner Auftritte kennenlernt, lebt er das vor. In einer Kommune in der Uckermark haben die beiden einen Wohnwagen stehen, der immer mal wieder ihre Fluchtburg wird.
Doch der Mann, in dem zu Beginn der neunziger Jahre bereits der Krebs zu fressen beginnt, wird von der Entwicklung enttäuscht. Er muss erkennen, dass auch die Ostdeutschen zuerst mit der Sicherung ihrer Existenz beschäftigt und dann erst bereit sind, sich den großen Fragen zuzuwenden. "Das hat ihn unendlich verbittert", erinnert sich Maria Lehnert.
So ist ihr Mann, den sie zwei Jahre vor seinem Tod 1997 noch heiratet, viel unterwegs. Ein Suchender bis zum Schluss. Er klopft bei Bhagwan an, manche halten ihn für einen Buddhisten, er wendet sich dem Christentum und dem Islamismus zu. Hat er sich festgelegt? "Er war nichts von allem", ist sich seine Witwe sicher. "Er hat sich einfach nur für vieles interessiert. Er war religiös."
Rudolf Bahro ist in jenen Jahren mehr denn je davon überzeugt, dass der Mensch nicht nur ein materielles, sondern auch ein spirituelles Wesen ist. Der Mensch muss sich Gott zuwenden, sagt er, der an der Berliner Humboldt-Universität bis zu seinem Tode lehrt, immer wieder. Doch sein Gottesbegriff, so Maria Lehnert, sei "sehr unkonkret" gewesen. War Rudolf Bahro am Ende denn ein Kommunist? Maria Lehnert will das so nicht stehenlassen, auch wenn ihr verstorbener Mann das kurz vor seinem Tode selbst in einem Interview so gesagt hat. "Das war er am Ende mit Sicherheit nicht mehr", ist sich die Berlinerin sicher.
Sie selbst ist vor kurzem erst zum russisch-orthodoxen Glauben übergetreten.