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Rom sehen und zeichnen Rom sehen und zeichnen: Anhaltische Gemäldegalerie zeigt Friedrich Wilhelm von Erdmannsdorff

Von Christian Eger 07.12.2014, 21:09
Blick zum Kolosseum in Rom. Erdmannsdorff-Zeichnung, mutmaßlich nach 1766
Blick zum Kolosseum in Rom. Erdmannsdorff-Zeichnung, mutmaßlich nach 1766 Anhaltische Gemäldegalerie Dessau Lizenz

Dessau-Roßlau - Das Zeichnen musste Friedrich Wilhelm von Erdmannsdorff (1736-1800) erst lernen, als er 1761 von Dessau aus das erste Mal nach Italien reiste. Nicht nur im architektonischen, sondern auch im bildnerischen Fach benötigte der Freiherr, der weder das Malen noch Bauen studiert hatte, eine Einführung in die Praxis.

Die wurde dem künftigen klassizistischen Erfolgsarchitekten und Designer in Italien beschert, erklärt Karen Buttler. Unter dem Titel „Sammeln und Zeichnen. Friedrich Wilhelm von Erdmannsdorff in Rom“ hat die Braunschweiger Kunsthistorikerin eine Ausstellung kuratiert, die nach der ersten Station in der Casa di Goethe in Rom - den heute von den Deutschen als Museum betriebenen Wohnräumen des Dichters - nun in der Orangerie der Anhaltischen Gemäldegalerie in Dessau gezeigt wird. Eine eher kleine, aber ungemein erhellende Schau, die mit dem in der Gemäldegalerie überlieferten grafischen Nachlass das kunsttheoretische und -praktische Wirken des Mannes erkundet, der sein Leben an Dessau und den Fürsten Franz gebunden hatte.

Ein hoher Einsatz mit hohem Ertrag. Tatsächlich ist die Bedeutung Erdmannsdorffs für das Dessau-Wörlitzer Kulturwerk um 1800 kaum zu überschätzen. Der gebürtige Dresdner war dem um vier Jahre jüngeren, in der gemeinsamen Begeisterung für die Antike verbundenen Fürsten Ratgeber, Gefährte und Freund sowie als Baumeister, Designer und Innenarchitekt der künstlerische Schöpfer des Dessau-Wörlitzer Gartenreiches, als dessen künstlerischen Direktor man ihn bezeichnen könnte.

Neubestimmung des Nachlasses

Von Anhalt aus stieg Erdmannsdorff zum Begründer der frühklassizistischen Baukunst in Deutschland auf. Mehr als 60 von ihm selbst entworfene Gebäude, Kleinarchitekturen und Interieurs finden sich in und um Dessau, darunter die Schlösser in Wörlitz, im Luisium und Georgium. Dem Fürsten war dieser Geist buchstäblich teuer. Ohne eine Funktion am Hof ausüben zu müssen, bezog Erdmannsdorff um 1780 mit monatlich 166 Talern das zweithöchste staatliche Gehalt in Anhalt-Dessau. Wofür er dieses Geld erhielt, macht die Dessauer Ausstellung sichtbar.

Etwa 410 Blätter umfasst der grafische Erdmannsdorff-Nachlass, der seit 1933 zum Bestand der Anhaltischen Gemäldegalerie gehört. Dass nicht sämtliche Zeichnungen dem Künstler zuzuschreiben sind, wie es 1913 Erich Paul Riesenfeld tat, wusste man. Bereits 1986 hatten die Dessauer Kunstwissenschaftlerinnen Helga Heise und Margit Ziesché eine erste kritische Sichtung veröffentlicht und auf offene Fragen hingewiesen. Diese vorläufig beantwortet zu haben, ist das Verdienst Karen Buttlers.

Ein Verdienst, das man in Dessau mit einem weinenden und einem lachenden Auge zur Kenntnis nehmen wird. Denn laut Buttler muss für drei Viertel des Bestandes eine Autorschaft Erdmannsdorffs ausgeschlossen werden. Aber man gewinnt zugleich sehr viel: einen schärfer konturierten originalen Erdmannsdorff-Bestand, bei dem freilich immer eine Rest-Unsicherheit bleibt, denn Erdmannsdorff signierte seine Arbeiten nicht; eine Vielzahl von Blättern aus der Hand hochkarätiger Künstler, deren Identität zweifelsfrei festgestellt werden konnte und schließlich einen Einblick in die Methode Erdmannsdorffs, der in Italien zeichnete und Zeichnungen sammelte, um Vorlagen nicht nur für das künstlerische, sondern auch das kunstpädagogische Wirken in Dessau zu gewinnen. Die Schau zeigt eine Auswahl von 60 Blättern aus der Sammlung Erdmannsdorffs.

Der gelangte vier Mal nach Italien: Die erste Reise 1761/1762 führte ihn nur bis Florenz, die weiteren Fahrten 1765/1766, 1770/1771, 1789/1790 ermöglichten längere Aufenthalte in Rom. Die Schau macht die jeweiligen Interessen Erdmannsdorffs kenntlich. So galt die erste Reise vorrangig der für Erdmannsdorff grundsätzlichen Hinwendung - von der Malerei weg - zur Architektur, die maßgeblich von Charles-Louis Clérisseau befördert wurde, von dem denn auch Zeichnungen in Dessau zu sehen sind. Die folgenden Rom-Aufenthalte gehörten dem Sammeln von gestalterischen Mustern unter anderem zur Ausstattung des Wörlitzer Schlosses, bei dem der Architekturzeichner Giuseppe Manocchi hilfreich assistierte, sowie dem Aufbau einer für den privaten und staatlichen Gebrauch nützlichen Sammlung von Kupferstichen, Gipsabgüssen und Zeichnungen.

Vom Tiber an die Elbe

Zu letzteren gehören Werke der Architekten Vincenzo Brenna und Robert Adam, des Bildhauers Lhuillier, des Silberschmiedes Valadier, vor allem aber 30 einzigartig vitale Pastellstudien des Barockmalers Federico Barocci, die nun neben den zarten Bleistiftstudien Erdmannsdorffs zu sehen sind, die das Kolosseum oder das Forum Romanum zeigen. Erste „Aufnahmen“ einer Landschaft, deren künstlerische Schönheit in einigen ihrer besten Elemente vom Tiber weg an die Mittlere Elbe zu tragen war.

Blatt für Blatt macht die Ausstellung Erdmannsdorffs Verwandlung vom Kunstanbeter hin zum reflektierten Architekten, Designer und Kunstkenner augenfällig. Man begreift, wie umsichtig und planvoll der römisch-dessauische Kultur-Transfer vorangetrieben wurde. Ein Unternehmen, dem Erdmannsdorff gleichsam als Geschäftsführer vorstand; die Ausstellung zeigt sein grafisches Betriebsbüro.

Friedrich Wilhelm von Erdmannsdorff, gemalt von J. F. A. Tischbein, Gleimhaus Halberstadt
Friedrich Wilhelm von Erdmannsdorff, gemalt von J. F. A. Tischbein, Gleimhaus Halberstadt
Thomas Ruttke Lizenz