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Rolf Schneider Rolf Schneider: Mann für manche Tonart

Von christian eger 16.04.2012, 17:31

berlin/MZ. - Der Mauerfall war für Rolf Schneider eine Erlösung. Nicht, weil der Ostberliner Schriftsteller endlich von Ost nach West reisen konnte. Sondern, weil der 1979 aus dem DDR-Schriftstellerverband ausgeschlossene Autor genau das nicht mehr musste. Nicht mehr von Ostberlin aus zum Beispiel nach Mainz pendeln, um dort unter anderem als Dramaturg und Regisseur sein Geld zu verdienen. Westgeld, an dem die DDR mitkassierte: Einen Teil der Gagen hatte Schneider immer abzuführen.

In der Rückschau ließe sich Schneider als ein künstlerischer DDR-Leiharbeiter bezeichnen, der von 1982 an mit einem Dauer-Visum ausgestattet, im Westen sein Brot verdienen durfte, ohne seinen Wohnsitz in Berlin-Schöneiche aufgeben zu müssen. Eine Existenz, für die Millionen von DDR-Bürgern so manches riskiert hätten. Tatsächlich war es die goldene Variante eines DDR-Berufsverbotes, das sich Schneider in Folge seines Protestes gegen die Ausbürgerung von Wolf Biermann im November zugezogen hatte. Nach dem Prinzip "teile und herrsche" wurden die prominenten Initiatoren des Protestes sehr unterschiedlich behandelt.

Schneider gehörte zu denen, die der SED-Schriftsteller Dieter Noll ("Die Abenteuer des Werner Holt") in einem Offenen Brief an Erich Honecker 1979 als "kaputte Typen" beschimpfte. Wie auch Kurt Bartsch, Adolf Endler und Stefan Heym, die gemeinsam mit Rolf Schneider aus dem Verband flogen.

Mit den Folgen: keine Aufträge, keine Veröffentlichungen. Statt dessen also die lange Leine, die bis nach Westen reichte. Es sei "Lust und Leiden" gewesen, sagte Rolf Schneider einmal im MZ-Gespräch, stets "ungeheuer heikel". Vor allem aber eben auch: ungeheuer absurd.

Vielleicht wird Rolf Schneider, der am Dienstag erstaunliche 80 Jahre alt wird, einmal den Elan finden, die Geschichte seiner Zeit und seines Lebens aufzuschreiben, die auch die Geschichte einer denkwürdigen Karriere in der Epoche der ostdeutschen Nachkriegsliteratur war, die erst in diesen Jahren zu Ende geht. Denn bis heute zählt der Schriftsteller, der in vielen literarischen Genres zu Hause ist, zu den geschäftigsten, intelligentesten und am meisten unterschätzten ostdeutschen Autoren. Unterschätzt als auskunftsfähiger und urteilsfreudiger Zeitgenosse, der inzwischen sein Hauptengagement von der Belletristik weg auf die Publizistik verlagert hat: hin zu Radio- und Zeitungsbeiträgen. Vielleicht ist ja die Publizistik Schneiders eigentliche Berufung gewesen, für die es in der DDR aber keine echte Chance geben konnte.

Geboren wurde Schneider in Chemnitz als Sohn eines Mannes, der Adjutant des Links-Anarchisten Max Hölz war. Kindheit und Jugend in Wernigerode, Studium der Germanistik und Pädagogik von 1955 bis 1958 in Halle, Redakteur der kulturpolitischen Zeitschrift "Aufbau", Debüt als Erzähler 1958 mit literarischen Parodien unter dem Titel "Aus zweiter Hand".

Nicht zufällig, denn immer war der überaus originelle Schneider ein Autor, dessen Schreiben auch ein Echo war: Sein Roman "Der Tod des Nibelungen" (1970) orientierte sich an Ernst von Salomons "Der Fragebogen", "Die Reise nach Jaroslaw" (1975) an Plenzdorfs "Die neuen Leiden des jungen W.". Ein Mann mit vielen Tonarten also, der neben seinem End-DDR-Roman "Marienbrücke" (2009) in jüngster Zeit mit kulturhistorischen Arbeiten überrascht. Es ist jedenfalls ein Vergnügen, dem Feuilletonisten Schneider zu folgen. Egal, ob er durch Berlin, Branitz oder Potsdam spaziert. Im Berliner be.bra-Verlag sind jüngst die Büchlein über Weimar und Wernigerode erschienen, illustriert mit Fotografien, die Schneiders Tochter Theresa lieferte, die unter anderem an der Burg Giebichenstein studierte.

Schneiders Städteporträts: Das ist Kulturgeschichtsschreibung aus dem Geist der Zeitgenossenschaft. Teilhabend. Lebendig. Immer erhellend. Was meint, stets kommt Schneider auch unaufdringlich auf das eigene Erleben zu sprechen. Im Weimarbuch zum Beispiel auf die Tochter des Lyrikers Rainer Maria Rilke, die einen Teil des väterlichen Nachlasses in der Klassikerstadt deponiert hatte, der 1950 noch zu besichtigen war. Auf den Dichter Louis Fürnberg. Oder auf den gelernten Buchhändler Helmut Holtzhauer, der ein gefürchteter Kulturstalinist war und als Chef der Nationalen Forschungs- und Gedenkstätten in Weimar einen grundstürzenden Wandel seines Wesens erfuhr.

Im Wernigerode-Buch entfaltet Schneider ein kitschfreies, sehr informatives Panorama der Stadt, wie man es in solcher Fülle und Genauigkeit noch nicht gelesen hat. Auch hier gegen Ende: eine persönliche Erinnerung. Schneider erwähnt, wie er vor wenigen Jahren zwei Wochen in Schierke lebte und dort in den Schnee geriet.

Eine suggestive Passage, die den Erzähler im Publizisten zeigt sowie das Ineinander von Landschaft, Geschichte und Biografie, das am 80. Geburtstag Rolf Schneiders gut zu zitieren ist: "Ich lief an einem Schatten vorbei. Ich wusste später, dass es ein Schlagbaum gewesen sein musste. Der Schneefall wurde sehr dicht. Ich lief in eine Senke hinein. Ich geriet an ein Hinweisschild, dem ich entnehmen konnte, dass ich versehentlich die Grenze überschritten hatte. (...) Flocken fielen. Ich drehte um und lief in meiner bloß noch undeutlich erkennbaren Spur zurück."