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Robert Havemann Robert Havemann: Das eigene Leben wagen

Von CHRISTIAN EGER 10.03.2010, 18:15

BERLIN/MZ. - Öffentlich hatte er darüber nachgedacht, dass die Meinungsfreiheit eine Grundbedingung gelingender Wissenschaft - und darüber hinaus einer gelingenden sozialistischen Gesellschaft sei.

In dem Maße, in dem Havemanns politische Gedankenspiele für die DDR-Gesellschaft brisant waren, fielen die Strafen drakonisch aus: Hausverbot an der Humboldt-Universität, Parteiausschluss, Berufsverbot und Isolation an seinem Wohnsitz in Berlin-Grünheide. Dort arbeitete der Abservierte als eine Art Privatgelehrter in Sachen Demokratischer Sozialismus. Ab und an sah man den SED-Dissidenten mit einem im Kamerabild verwackelten Statement in der "Tagesschau".

Dass Havemann 1964 nicht ins Gefängnis abwanderte, lag wohl vor allem daran, dass er als ein tapferer Antifaschist von 1943 an bis 1945 im Todestrakt des Zuchthauses Brandenburg-Görden interniert gewesen war. Einem Gefängnis, in dem zu dieser Zeit unter weit weniger dramatischen Umständen auch Erich Honecker festsaß. Auch wenn man in der DDR nur wenig wusste über Havemann, diese Gefängnis-Konstellation war bekannt.

Heute vor 100 Jahren wurde der DDR-"Staatsfeind Nummer eins" als Sohn einer Kunstmalerin und eines Lehrers in München geboren. Dem Chemiestudium folgt eine Tätigkeit am Kaiser-Wilhelm-Institut in Berlin, 1935 die Promotion über "Ideale und reine Eiweißlösungen". Im Berlin der NS-Jahre versteckt der KPD-nahe Intellektuelle Juden vor dem Zugriff der Gestapo, 1943 gründet er die Widerstandsgruppe "Europäische Union". Der Verhaftung 1943 folgt das Todesurteil, das immer wieder aufgeschoben wird, wegen vorgeblich kriegswichtiger Forschungen, die Havemann zu leisten imstande sei.

Im Juli 1945 wird ihm die Leitung des Kaiser-Wilhelm-Institutes in Berlin-Dahlem zugesprochen. Aber Havemann, der zu den Mitgründern der Vereinigung der Verfolgten vom Nazismus und des Kulturbundes gehört, sitzt politisch zwischen allen Stühlen. Ein Artikel über den amerikanischen Versuch, eine Wasserstoffbombe zu entwickeln, führt zu seiner Entlassung. Havemann wechselt 1950 nach Ostberlin über, tritt in die SED ein und wird Prorektor an der Humboldt-Universität. Ganz auf Linie, sorgt er für die Entlassung junger Christen, arbeitet der Stasi zu, bis 1956 seine politische Kehre erfolgt: Havemann wandelt sich zum Antistalinisten. Bücher dokumentieren diesen Weg: "Dialektik ohne Dogma" (1964) und "Fragen, Antworten, Fragen" (1970). Mehr als 200 Stasi-Spitzel werden Havemann bis zu seinem Tod 1982 beschatten.

Eine große Öffentlichkeit hat Robert Havemann bis heute nicht. Es gibt Havemann-Schulen, -Straßen, sogar eine -Gesellschaft. Der Mann selbst aber ist als Persönlichkeit unsichtbar. "Er ist ein Denkmal. Doch das Denkmal ist tot", sagte sein Sohn Florian vor zwei Jahren - sehr zu Recht. Aber woran liegt es?

Berlin-Prenzlauer-Berg, ein Hinterhaus in der Schliemannstraße: Hier hat die Robert-Havemann-Gesellschaft ihren Sitz, 1990 als politischer Bildungsverein vom Neuen Forum gegründet. 400 Meter Akten unter anderem mit den Vorlässen von Birthler, Bohley, Tschiche und Ullmann fasst das Archiv der DDR-Opposition, das die Archive von Havemann, Matthias Domaschk, der Berliner Umweltbibliothek und der unabhängigen DDR-Frauenbewegung versammelt. Seit mehr als 20 Jahren gäbe es das Projekt einer großen Havemann-Biografie, die bis heute noch nicht vorliegt, sagt Olaf Weißbach, Geschäftsführer des Vereins. Die Ursache? "Eine schwierige Quellenlage, was die DDR-Jahre betrifft." Immerhin hat der Verein eine kleine Gebrauchsbiografie (80 Seiten, zwei Euro) in Umlauf gebracht, verfasst von Bernd Florath und Werner Theuer. Dabei hätte Havemann den Nachgeborenen einiges zu bieten. "Für seine politische Überzeugung hatte Havemann alles, was er hatte, in die Waagschale geworfen: sein Leben". Dieses sei "geradlinig und aufrecht" gewesen. Kein Kniefall vor den Nazis oder Stalinisten.

Weißbach und seinen Archiv-Mitstreitern geht es darum, "das Subjekt der gelingenden Revolution von 1989" sichtbar zu machen. Also abzurücken von der Legende, dass die Menschen im Osten doch vor allem Objekte der Geschichte gewesen seien. "Fatal in der deutschen Geschichte ist die Dominanz des Opferbegriffes", sagt Weißbach. Ihm geht es um die Akteure des gesellschaftlichen Wandels, um die, die etwas wollten und wagten. Denn immer waren Entscheidungen zu treffen in der DDR und die fielen durchaus nicht zwangsläufig in Richtung Karriere, Duckmäusertum oder fintenreicher Schlaubergerei. "Es geht um Verantwortung", sagt Weißbach. "Wir wollen Menschen zeigen, auf die man sich positiv beziehen kann."

Zu diesen Persönlichkeiten gehört Havemann, auch wenn seine Wirkung bislang kaum über den Kreis seiner Bürgerrechtler-Freunde hinausgeht. Dabei wurde Havemann vor vier Jahren erst für seine Widerstandstätigkeit im Dritten Reich von der israelischen Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem als "Gerechter unter den Völkern" geehrt. Ein Titel, dem sehr genaue Recherchen vorausgehen.

Aber offenbar herrscht noch zu wenig innere Freiheit, um Robert Havemann ein lebendig-kritisches Gesicht zu schenken. Das wird sich ändern. Dieser Tage erscheint Havemanns letztes zu Lebzeiten veröffentlichtes Buch "Morgen" (1980), das "Die Industriegesellschaft am Scheideweg" verhandelt als "Kritik und reale Utopie". Kein Thema von gestern, verlegt als Reprint der Havemann-Gesellschaft.

Langenbeck-Virchow-Haus, Berlin-Mitte, Luisenstraße 58 / 59: "Begegnungen mit Robert Havemann. Briefe, Gespräche, Lieder", 19 Uhr, u. a. mit Wolf Biermann. Morgen in der Böll-Stiftung, Berlin, 14-20 Uhr: Tagung "Havemann und die Opposition in der DDR"