1. MZ.de
  2. >
  3. Kultur
  4. >
  5. Revolution mit Drahtharfe

Revolution mit Drahtharfe

Von Steffen könau 14.11.2011, 18:11

Halle/MZ. - Als Zeuge in eigener Sache ist er kaum zu gebrauchen. Nein, sagt Wolf Biermann, über die Spätfolgen des politischen Erdbebens, das sein Westauftritt im November vor 35 Jahren auslöste, wisse er gar nichts. "Aber was es für mich selbst bedeutet, da bin ich natürlich nah dran, ich komme ja öfter mit mir zusammen."

Das Leben des Liedermachers, Sängers und Dichters wurde durcheinandergeschüttelt von dem Moment an, als er von der Vertreibung aus seiner Wahlheimat DDR erfuhr. Biermann war gerade mit dem Schriftsteller Günter Wallraff unterwegs zu seinem zweiten Westkonzert in Bochum. Da spuckt das Radio die Meldung aus. "Mir war, als würde ich meiner Hinrichtung zuhören." Zweimal Unterwäsche und zwei Gitarren hat der gebürtige Hamburger dabei, als er die Heimat verliert, die er sich 23 Jahre zuvor selbst gesucht hatte. Warum? "Mir blieb gar nichts weiter Ulbricht", kalauert Biermann. Als "halber Jude" hineingeboren in eine Kommunistenfamilie, war der Sohn des in Auschwitz ermordeten Hafenarbeiters Dagobert Biermann von seiner Mutter auserkoren worden, den Vater zu rächen. "Ich sollte die Weltrevolution vollenden."

Eine Aufgabe, mit der sich Wolf Biermann identifiziert. "Es war wie Luftholen für mich." Zwischen Stalins Tod und den Arbeiteraufständen vom 17. Juni 1953 zieht er um nach Gadebusch, eine Kleinstadt in Mecklenburg. Nicht nach Berlin, zum Glück nicht nach Berlin!, ruft Biermann. "Hätte ich damals gesehen, wie Panzer streikende Arbeiter niederwalzen, dann wäre der ganze sozialistische Phrasenbau für mich sofort eingestürzt."

So geht der Enkel der aus Halle stammenden Oma Meume in der DDR zur Schule. Er studiert Ökonomie, wird Regieassistent am Berliner Ensemble, lernt Helene Weigel kennen und Hanns Eisler schätzen. 1961 macht Wolf Biermann sein eigenes Berliner Arbeiter-Theater auf. Schon wenig später aber wird die Aufführung des Stückes "Berliner Brautgang" verboten. Der Mauerbau, um den es darin geht, befindet die Partei, die Biermanns Aufnahmeantrag wenig später ablehnt, sei kein Thema für Künstler.

Nun ist aber für einen wie Biermann das ganze Leben Thema der Kunst. Was macht so einer, wenn ihm das Leben genommen wird - und damit auch die Möglichkeit, es in Theaterstücke, Lieder und Texte zu übersetzen? Er macht weiter. Daraufhin schließen die staatlichen Kulturüberwacher ihm zuerst die Bühne, dann verbieten sie ihm, aufzutreten. Schließlich beginnt die Stasi, sich für ihn zu interessieren. Als der 29-Jährige seinen Gedichtband "Die Drahtharfe" notgedrungen im Westen veröffentlicht, erklärt das ZK der SED ihn zum Staatsfeind Nummer 1: Der unbotmäßige Störenfried wird in seine Wohnung in der Chausseestraße 131 verbannt. Wolf Biermann darf nicht mehr schreiben, nicht mehr reden, nicht mehr singen. Der Querkopf soll vergessen werden.

Aber so läuft das nicht. Je verbotener seine Lieder sind, umso schneller machen sie die Runde. Biermann, pikanterweise weiterhin befreundet mit staatstragenden Figuren wie der späteren First Lady Margot Honecker, wird zur Untergrund-Ikone. Sein reines Vorhandensein gilt der Parteiführung als Bedrohung. Dabei sind die Lieder des Mannes mit dem Seehundbart eher ironisch als aggressiv: "Sozialismus, schön und gut", singt er, "doch was man uns hier aufsetzt, das ist der falsche Hut".

Zu wahr, um schön zu sein, zu treffend, um öffentlich gesagt werden zu dürfen. Der Riese von 1,67 zahlt die Rechnung mit zwölf Jahren Hausarrest und der Ausweisung - "verwirrt, eingeschüchtert, voller Lebensangst" steht er plötzlich vor dem Nichts. Wäre Biermann nicht schon ein Gegner von Diktaturen jeder Farbe gewesen, die Vertreibung aus seinem gelobten Land hätte ihn zu einem gemacht. So sehr der Mann, der heute 75 Jahre alt wird, als Dichter die Zwischentöne schätzt, so kompromisslos ist sein Urteil über die "verdorbenen Greise", die die DDR okkupiert hatten, und die Opportunisten, die ihnen zur Hand gingen. "Wie damals auf Geheiß von oben alle ihre Notdurft über mir verrichteten", sagt Biermann angewidert. Den Menschen zu kennen und an ihn zu glauben, das sind zwei Dinge, die schwer miteinander gehen.

Nein, er hat nichts vergessen, denkt aber auch nicht mehr oft daran. Wolf Biermann hat zu viel zu tun im Hier und Jetzt, als dass er die Schlachten von früher immer wieder schlagen will. Gerade hat er mit dem Schweden Gunnar Eriksson seine schönsten Lieder als Chorwerke neu eingespielt. Und einen dicken Band mit Übersetzungen der Gedichte von Kollegen aus aller Welt veröffentlicht. "Fliegen mit fremden Federn" heißt der. "Den Krieg mach’ ich auf meine Weise", reimt der preußische Ikarus darin,"ich ziehe los und ich besieg’ den Hass auf meiner Reise."

Wolf Biermann ist um 22.15 Uhr zu Gast in der Sendung "Thadeusz" im RBB-Fernsehen, anschließend zeigt der Sender ab 22.45 Uhr das Kölner Konzert Biermanns vom November 1976.

Mehr im Internet: www.mz-web.de/biermann