Renate Brausewetter Renate Brausewetter: «Ich habe mich keine Minute meines Lebens gelangweilt»

Linz/dpa. - Stummfilme sind seit langem Geschichte. Für RenateBrausewetter waren sie real. Im Berlin der zwanziger Jahre gehörte sie zu den Stars, die der Film ohne Ton hervorgebracht hatte. Diekleine Schwester des bekannteren Hans Brausewetter, der unteranderem an der Seite von Heinz Rühmann im Klassiker «Paradiesder Junggesellen» spielte, machte den Sprung zum Tonfilm nicht.Bereits 1928 zog sie sich ins Privatleben zurück. Am Samstag (1.Oktober) wird Renate Brausewetter in Linz am Rhein 100 Jahre alt.
«Ich habe mich keine Minute meines Lebens gelangweilt», sagt diezierliche Frau, die 1905 im spanischen Malaga geboren wurde. 1915zog Renate Brausewetter nach Berlin. Über ihren Bruder kam sie zumTheater und zum Film. Ihr Leinwanddebüt gab die junge Schauspielerin1925 als Statistin in «Die freudlose Gasse» mit Greta Garbo in derHauptrolle. Im gleichen Jahr stand Brausewetter für denPsychoanalyse-Streifen «Geheimnisse einer Seele» vor der Kamera.
Unter anderem für «Hanseaten» und «Der alte Fritz» arbeitete siemit dem Regisseur Gerhard Lamprecht (1897-1974) zusammen, von demsie noch heute schwärmt. «Lamprecht war ein wunderbarer Mensch undRegisseur.» Die Filme liegen jetzt in Archiven. Renate Brausewetterwürde sie bei Gelegenheit gerne wieder sehen. Sie wolle aber «keinTam-Tam» darum machen, wiegelt die alte Dame ab. Alte Fotos inschwarz-weiß bewahrt sie noch heute in einem Schrank auf ihremZimmer in Seniorenheim in Linz auf.
«Der Tonfilm ist der Mörder vom Stummfilm», sagt Brausewetter. Zuihren Zeiten sei es sehr auf die Ausdrucksfähigkeit der Schauspielerangekommen. «Die Rollen waren anders.» Es fehlten erklärende Worte.Als der Tonfilm gekommen sei, hätten sich die anderen Schauspielerweiterentwickelt. «Man selber ist stehen geblieben», sagt derfrühere Stummfilmstar. 1950 aber lies sich Brausewetter kurz auf dasWagnis Tonfilm ein und spielte in «Die Treppe» unter der Regie vonAlfred Braun eine Nebenrolle.
Über ihren Bruder hatte Brausewetter Kontakte zu vielenSchauspielern und Intellektuellen, darunter zu Schriftstellern wieKlaus Mann und Joachim Ringelnatz. «Wenn Hans abends mit den Leutenaß, war ich dabei», erzählt sie. Dann starb Hans Brausewetter (1899-1945) als Zivilist in den Kämpfen um Berlin. Sein Tod sei «der großeSchlag» gewesen in ihrem Leben, erinnert sich die Schwester. EinJahr zuvor hatte sie sich von ihrem Mann, einem Chemiker, scheidenlassen und lebte nun allein mit drei Kindern.
1972 zog Renate Brausewetter nach einer schweren Krankheit in dieNähe ihrer Tochter und ihrer zwei Söhne nach Linz und lebte bis vorzwei Jahren in einer eigenen Wohnung. Sie hütete Babys, kümmertesich um vietnamesische Flüchtlingskinder und betreute eineTheatergruppe für Schüler. Gesunde Ernährung war nie ein Thema.Jahrelang rauchte sie, trank täglich einen Schnaps. Heute nascht dieSeniorin nur noch ab und zu Schokolade. Dass sie 100 Jahre altwerden könnte, glaubte sie nie. «Ich habe nicht gedacht, mal alt zuwerden.»
Doch ihre Erinnerungen lassen nach: «Dumm und solide wird man imAlter», meint die Jubilarin. Mittlerweile sind ihre Augen soschlecht, dass sie nicht mehr lesen und fernsehen kann. Sie genießtdie letzten Sonnenstrahlen des Sommers. Manchmal bekommt RenateBrausewetter Besuch von den Kindern, die mittlerweile selber imRentenalter sind, den acht Enkeln und vier Urenkeln oder altenBekannten.