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Reaktionen Reaktionen: Internationale Pressestimmen zu Günter Grass

14.08.2006, 12:34

Hamburg/dpa. - Das Bekenntnis des Schriftstellers Günter Grass,Mitglied der Waffen-SS gewesen zu sein, hat auch in derinternationalen Presse Beachtung gefunden - besonders in Osteuropa.Die Deutsche Presse-Agentur (dpa) stellt im Folgenden eine Auswahlder Stellungnahmen zusammen.

Die Zeitung «Nowaja Gaseta» aus Russland:

«Der außerordentlichen Reputation des Literatur-NobelpreisträgersGünter Grass wird seine kurze Mitgliedschaft bei den Truppen derWaffen-SS in keiner Weise schaden. Zumal der zukünftige Klassiker derWeltliteratur am Ende des Krieges zu spät kam, um sich mit Blut zubeflecken und mit der Teilnahme an verbrecherischen Vergeltungsaktender SS Schande auf sich zu ziehen.»

Die Zeitung «Mlada fronta Dnes» aus Tschechien:

«Grass war in der Waffen-SS? Na und, werden einige sagen, derheutige Papst war in der Hitlerjugend. Nur hat Joseph Ratzinger diesnie verschwiegen. Und so erinnert der Fall Grass an die Affäre desÖsterreichers Kurt Waldheim, der im Zweiten Weltkrieg (als Offizierder Wehrmacht) in Bosnien eine Einheit führte. Grass hat sichunerträglich spät bekannt.»

Die Zeitung «Lidove noviny» aus Tschechien:

«Viele werden fragen, warum Grass sich erst jetzt zur früherenMitgliedschaft in der Waffen-SS bekennt. Aber wie waren denn damalsdie Aussichten eines 17-Jährigen, die Welt zu verstehen, die Grenzender Nazi-Propaganda zu überwinden und eine reife Reflexion zuentwickeln? Und wann war dieser richtige Augenblick?»

«Politika» aus Serbien:

«Mit seinem Bekenntnis fällt ein schwerer Schatten gerade auf diemoralische Integrität eines Mannes, der immer und überall seineStimme erhob und anderen Lektionen erteilte. Er hat, auf Grund derThese vom "Verhindern der humanitären Katastrophe" im Kosovo, dieLuftangriffe auf Jugoslawien befürwortet.»

«Neue Zürcher Zeitung» aus der Schweiz:

«Wird das Werk - das wie kein anderes die deutscheSchuldverstrickung im Nationalsozialismus zu seinem unerschöpflichenThema gemacht hat - von diesem späten Bekenntnis beschädigt? Nein,denn die Literatur folgt ihren eigenen Gesetzen, und manches aus demFrühwerk hat Bestand. (...) Das lange Schweigen und die inszenierteForm des Bekenntnisses lassen jedoch manche polemische Interventionnoch nachträglich fragwürdig erscheinen.»

Der «Kurier» aus Österreich:

«Eines ist gewiss. Sein nächstes Buch, "Beim Häuten der Zwiebel"dürfte wieder ein Bestseller werden. Was skeptische Literaturkritikerwie Hellmuth Karasek vermuten lässt, dass auch "markttechnische"Gesichtspunkte zu diesem Outing geführt hätten. Das muss nichtstimmen - aber es kann auch stimmen. Nun muss es halt "raus". Wiesoerst jetzt, zwanzig Jahre nach Waldheim. Darüber wird es Streitgeben.»

Die Zeitung «ABC» aus Spanien:

«Selbst bei größtem Wohlwollen stellt sich die Frage, weshalbGünter Grass mit seiner Enthüllung so lange gewartet hat. Da kommeneinem sofort zwei mögliche Gründe in den Sinn, die beide nichtbesonders vorbildlich sind. Erstens hätte Grass, wenn er frühergesungen hätte, höchstwahrscheinlich nicht den Nobelpreis bekommen.Zweitens könnte Grass sein Eingeständnis dazu benutzt haben, fürseine demnächst erscheinende Autobiografie zu werben.»