Quedlinburg Quedlinburg : Vor 30 Jahren wurde die Lyonel-Feininger-Galerie gegründet

Quedlinburg - Anfang 1919 fertigte Lyonel Feininger (1871-1956) den Holzschnitt „Kathedrale“, den Walter Gropius dem Gründungsmanifest des Bauhauses als Titelblatt beigab. Es zeigt einen Kirchenbau mit drei Türmen, deren Spitzen Sterne tragen: ein kräftig strahlendes Dreigestirn. Gropius versprach im Begleittext einen „Bau der Zukunft“, der „alles in einer Gestalt sein wird: Architektur und Plastik und Malerei“. Ein Bau, der „aus Millionen Händen der Handwerker einst gen Himmel steigen“ soll „als kristallines Sinnbild eines neues Glaubens“.
In zwei Varianten ist der Holzschnitt in der neuen Ausstellung der Feininger-Galerie in Quedlinburg zu sehen. Eine davon auf rotem Papier. Das Blatt ist eine Bauhaus-Ikone, die gern als „Kathedrale des Sozialismus“ bezeichnet wird, wofür es aber keinen Anlass gibt. Die Gestirne sind keine Sowjet-Sterne, sondern Symbole für Architektur, Handwerk und Kunst. Der Direktor der Feininger-Galerie, Michael Freitag, entdeckt in dem Bau eine bildliche Erinnerung an die Dorfkirche im thüringischen Gelmeroda, wohin Feininger erstmals 1913 von Weimar aus „gekrabbelt“ war, wo seine zweite Ehefrau Julia an der Kunstgewerbeschule, dem späteren Bauhaus, studierte. Diesem gehörte der gebürtige New Yorker, der 1887 nach Deutschland ausgereist war, als ein Künstler der ersten Stunde an.
Insofern ist es berechtigt, an dem Ort, der mit rund 1 000 Arbeiten Feiningers eine der größten Kollektionen seiner Kunst weltweit besitzt, den Maler im Zuge der Initiative „Große Pläne! Die angewandte Moderne in Sachsen-Anhalt 1919-1933“ noch einmal neu zu präsentieren. Neu heißt: Selten gezeigte Arbeiten in unbekannten Kontexten zu zeigen und mit originellen Schaustücken zu überraschen. Das gelingt auf eine spielerische, völlig unangestrengte Weise in der Ausstellung „Bauhaus am Schlossberg“, die nicht einfach eine Schau unter anderen ist, sondern eine Jubiläumsausstellung, die 30 Jahre Feininger-Galerie feiert.
Geschichte der Sammlung als Thriller
Die wurde als eine der letzten Museumsgründungen der DDR im Januar 1986 ins Werk gesetzt. Den Grundstock der Sammlung bildet die von dem Quedlinburger Juristen und Bauhäusler Hermann Klumpp (1902-1987) zusammengehaltene und über die NS-Herrschaft gerettete Kollektion von Feininger-Werken, die der Künstler nicht zu seiner Ausreise nach Amerika 1937 auf den Seeweg bringen konnte.
Die Geschichte dieser Sammlung ist ein Thriller, der bis heute noch nicht ganz erzählt und in allen Details ausgeleuchtet ist. Vor allem nicht in jenen Passagen, die die Rolle des DDR-Systems bei der Kunstaktion spielte, die Klumpp zur Dauerleihgabe der Großsammlung an die Galerie bewegte.
Insgesamt 138 Ausstellungen
Deren Geschichte aber, die insgesamt 138 Ausstellungen bot, liegt zu Tage: 1986 wird das Haus unter der Leitung von Ingrid Wernecke eröffnet, 1992 beschließt der Kreistag die Erweiterung der Galerie, 1996 wird ganzjährig umgebaut, 1998 ein Förderverein gegründet, 2006 ein neue Heimat in der Stiftung Moritzburg gefunden. Im Laufe der Leitung von Björn Egging, der von 2007 bis 2013 das Haus führt, bevor er ans Kunstmuseum Wolfsburg wechselte, wird das Vorderhaus Schlossberg 11 saniert und ein Seitenflügel neu errichtet. 2014 geht die Galerie an die Stiftung Dome und Schlösser über. Michael Freitag übernimmt das Haus, der nun sagen kann: „Den ganzen Sommer wird gefeiert.“ Mit Konzerten, Lesungen und Vorträgen.
Vor allem aber mit einer Ausstellung, die für jeden Feininger-Freund eine Sommerreise wert ist. Näher kann man der Person dieses kubistischen Stadtlandmalers nirgendwo kommen. Alles ist da: seine originale Staffelei, sein Grafikschrank (in dem die Bauhaus-Meistermappe von 1920 ausliegt), sein Skizzenbuch von 1905 (ein Film führt durch dessen Seiten), das von ihm gebaute Modell einer Galeone, einem dreimastigen Segelschiff, das restauriert werden muss, wozu rund 5 000 Euro notwendig sind. Zudem ein Originalfahrrad der amerikanischen Marke Cleveland Ohio, noch mit Holzfelgen, aber bereits mit Luftbereifung: Auf so einem Rad war Feininger in den 20er und 30er Jahren in Thüringen und an der Ostsee unterwegs. Die Stationen sind als Streckenplan auf dem Fußbodenbelag der Quedlinburger Ausstellung ablesbar.
Ausstellung zur Ausstellung
Es wird also einiges geboten. Auch in der Kunst. Erstmals gezeigt wird das im Februar 1907 auf Pappe hergestellte Gemälde „Villa an der Seine“, das Feininger in vier Teile gebrochen und entsorgt hatte. Hermann Klumpp zog es 1937 aus dem Abfall. Heute ist es ein wichtiges Zeugnis des Übergangs vom Impressionismus des Malers hin zur ersten Abstraktion.
Und selbstverständlich die Ausstellung zur Ausstellung: 30 großformatige Schwarzweißbilder aus 30 Jahren zeigt die Schau. Plakate zu den Ausstellungen, eine Wandzeitung mit Artikeln, eine Leseecke, die Lektüren bietet. Und weil Feininger nicht allein von Feininger leben soll und kann, bietet die Galerie, die Michael Freitag als ein „Museum der grafischen Künste“ entwickelt, unter dem Titel „30 Meisterwerke I“ eine Auswahl von Blättern der Klassischen Moderne aus eigenen Beständen. Grosz, Nolde, Kandinsky, Klee, Kollwitz, Mueller, Pechstein. Und von Feininger eine Hafenszene von 1919, die hier neben einer solchen von Emil Nolde hängt. Und Klee neben Grosz. „Da beginnt es zu knistern“, sagt Michael Freitag. (mz)
Eröffnung: Freitag, 19 Uhr. Bis 29. September: Mi-Mo 10-18 Uhr. Eintritt sechs, ermäßigt drei Euro.