Premiere Premiere: «Fidelio» als kommt als Seifenblasen-Oper daher

Hamburg/dpa. - Mit seiner rigorosen Umdeutung von Beethovens großer Rettungs- und Befreiungsoper «Fidelio» in eine groteske Show des Scheiterns und des totalen Utopie-Verlusts hat Regie-Provokateur Hans Neuenfels (62) bei seinem späten Debüt an der Hamburgischen Staatsoper das Premierenpublikum heftig gegen sich aufgebracht. Während Hamburgs Generalmusikdirektor Ingo Metzmacher und die Sänger am Sonntagabend mit kräftigem Beifall bedacht wurden, ging auf den Regisseur ein regelrechtes Buh-Geschmetter nieder, in das sich nur wenig Zustimmung mischte.
Für den Alt-68er Neuenfels, der zuletzt mit einer wüsten «Fledermaus»-Dekonstruktion bei den Salzburger Festspielen Aufsehen erregt hatte, ist Beethovens Hohelied der Gattenliebe nur noch eine Chimäre, eine bittere Erinnerung. Der aus der Hungerhaft befreite politische Staatsgefangene Florestan wird am Ende im Rollstuhl auf die Bühne gekarrt, ein für ewig Zerbrochener, ein Wrack. Zum Jubel des Schlussgesangs bläst eine geklonte Kinderschar Seifenblasen in die Luft. Keine Hoffnung mehr, nirgends. Florestan und Leonore servieren ihr Duett «O namenlose Freude» als Konzert-Hit. Blanke Ironie angesichts des «himmlischen Entzückens», das Beethoven intoniert? Bei Neuenfels jedenfalls mündet alles in Desillusion.
Optisch ist dieser neue Hamburger «Fidelio» (nach Peter Palitzschs umstrittener Inszenierung von 1988) von Reinhard von der Tannen höchst attraktiv in Szene gesetzt, wenn auch das herrschaftliche Bühnen-Ambiente mit seinem eleganten Art-Deco- und Op-Art-Rahmen und der spanisch ausstaffierten «Dienerschaft» (samt Priester und Hund) dem eher kleinbürgerlichen Milieu des Kerkermeisters Rocco kaum entspricht. Aber Neuenfels braucht für sein ausladendes surreales Spiel hinter dem Spiel weite Räume, in denen Florestans und Leonores jugendliche Doppelgänger im Verein mit den ebenso stummen Dienern aufwendige pantomimische Traum- und Lehrstücke zu vollführen haben.
Der Überzeugungskraft von Beethovens Musik und ihrer grandiosen Freiheitsbotschaft traut der Regisseur offensichtlich nur halb. Alles muss szenisch noch einmal untermalt, unterstrichen, zum Teil enervierend verdoppelt werden. Glänzenden Effekt machen allerdings die so oft geschmähten «Fidelio»-Dialoge, die Neuenfels selbst geschickt bearbeitet hat und ganz aus dem Off sprechen lässt, unter anderem von seiner Frau, der gefeierten Schauspielerin Elisabeth Trissenaar.
Ingo Metzmacher setzte mit dem Philharmonischen Staatsorchester ebenso eindringlich auf Empfindsamkeit wie auf drastische Entladung der dramatischen Energien - bis hin zu ironisch schneidender Schärfe des Klangs. Die amerikanische Sopranistin Susan Anthony war eine wunderbar strahlkräftige, bewegende Leonore, die zu Recht Sonderapplaus bekam. Stimmlich von stählern heldischer Statur, gab der holländische Tenor Hubert Delamboye dem Florestan harte, gar sarkastische Töne. Vorzüglich Falk Struckmanns satirisch aufgeheizter Gouverneur Pizarro und Hans-Peter Königs Kerkermeister, ein Rocco zwischen Kreatürlichkeit und Humanität. Ein Sonderlob für den exzellent geführten Staatsopernchor.