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Phil und Adrian Carr Phil und Adrian Carr: Hymnen auf die Stadt Halle

Von Steffen Könau 06.02.2016, 12:46
Phil (l.) und Adrian Carr (r.) beim Videodreh in Halle-Neustadt.
Phil (l.) und Adrian Carr (r.) beim Videodreh in Halle-Neustadt. Youtube Lizenz

Halle (Saale) - Feischosserapi, sagt Adrain Carr, und das sperrige deutsche Wort klingt aus seinem Mund wie der Plattentitel einer Nummer-1-CD. Glatt und rund formt der Mann mit dem grauen Bart die störrische Vokabel. Eine Buchstabenmelodie, die sich in Zeitlupe in die rätselnden Stirnfalten der Zuhörer schiebt. Was sagt er da? Was meint er wohl?

Physiotherapie, jedenfalls, in Halle-Neustadt, setzt Carr neu an. Er musste da hin, wegen des Rückens. Und dort habe er, der vor mehr als 20 Jahren aus dem englischen Birmingham nach Halle kam, doch noch mal gestaunt über Deutschland. Diese Häuser. Dieser Himmel. Die breiten Straßen. „Man bekommt“, sagt er, „ein echtes Gefühl dafür, was die Erbauer sich früher versprochen haben.“

Der Liedermacher Rainald Grebe hat vor Jahren ein Lied für Sachsen-Anhalt gemacht, um alles andere müssen sich Städte und Gemeinden selbst kümmern. In Halle bemüht sich eine ganze Reihe von unterschiedlichen Künstlern um die hymnische Begleitung des Stadtlebens.

Der Hiphop-Künstler Fabster landete 2006 mit „Ich liebe diese Stadt“ einen Internet-Hit, der bis heute fast 300 000 Mal angeschaut wurde.

Härter geht der Rapper ApoMc in seinem Stadtteilsong „Glaucha 4tel Lifestyle“ mit seiner Heimatstadt ins Gericht: Halle wird hier zur Gangstermetropole, beherrscht von Gangs.

Die aber fühlen sich auch nicht mehr zu Hause, wie es die Sound Gladiators in ihrer Halle-Hymne „City of God“ beschreiben. Die Stadt sterbe, heißt es da, Bagger überall.

Falkenberg dagegen, dessen Halle-Lied klassischen Dylan-Zuschnitt hat, erzählt in „Die Stadt, die keiner kennt“ vom Halle der Vergangenheit, von einer Stadt, die immer vor allem aus Gefühlen bestehen wird. (stk)

Machen wir ein Lied, hat er danach zu seinem Bruder Phil gesagt. Und der nickte natürlich. Auch den jüngeren der beiden musikalischen Exilanten aus dem Königreich hat es in den 90ern nach Halle verschlagen, wo er prompt eine neue Liebe fand. Inzwischen lebt Phil Carr meistens zwar in Finnland. Dennoch ist der Gitarrist und Sänger eigentlich die treibende Kraft hinter den Stadtteil-Songs, mit denen die Brüder aus der Heimatstadt von Rockgiganten wie Led-Zeppelin-Sänger Robert Plant und Ozzy Osbourne im Internet Furore machen.

Die Methode ist seit der Premiere, die The Carr Brothers dem ihrer Ansicht nach sträflich unterschätzten Randviertel Trotha widmeten, immer dieselbe. Ein Hit wie Leonard Cohens „Hallelujah“ oder „San Francisco“ von Scott McKenzie bekommt einen neuen Text, halb englisch, halb deutsch, aber in jedem Fall mit beiden Augen zwinkernd. Phil Carr singt dann schwärmerisch von Straßenbahnen, Bockwürsten, philosophischen Gesprächen an der Bistro-Bude und dem „lovely walk down to the Saale“. Im Film steht er am Wehr, die Gitarre auf dem Rücken, das Wetter ist ein bisschen grau und auf der Wiese im Freibad liegt Schnee. „Aber hey“, sagt er, „das ist nicht ironisch gemeint.“

Jedenfalls nicht nur und auch nicht in den Songs zum Paulusviertel und zu Halle-Neustadt, die dem Premierenlied seitdem ebenso folgten wie „Händel in the Rain“, eine Hommage an Händel, den Hallenser, den es nach Großbritannien verschlug. Bittersüß ist der Geschmack der Melodien, wenn Phil Carr sie mit neuem Text singt: „Viele Nationen“ sind dann im Paulusviertel versammelt, aber auch „viele Frustrationen“. Keine Parkplätze. Teure Mieten! Zur Melodie von „Ich war noch niemals in New York, ich war nur immer in Ha-Neu“ heißt es dafür in der hymnischen Mini-Oper für den Beton-stadtteil, dort seien die Häuser bunt und zu erspüren „so viele alte Ideale“. Also, singt Phil Carr, „Touristen und Arbeitslose, nehmt Tram 2, an der Schwimmhalle und an den Scheiben vorbei“. Mit ein paar Freunden schwenken die Brüder enthusiasmiert die Arme. Das Glück ist ein Hallenser!

Warum Phil Carr findet, dass Halle deutlich lebenswerter und spannender sei als Birmingham, lesen Sie auf der nächsten Seite!

Als er damals in Halle angekommen sei, erinnert sich Adrian Carr, der heute als Barkeeper in einem Pub in der Saalestadt arbeitet, habe es allerdings fürchterlich geregnet. „Es war kalt und hässlich und ich wusste nicht, was ich hier soll.“ Ja, warum Halle? Nun, soweit er es 20 Jahre später noch rekonstruieren könne, schmunzelt er, sei ihnen auf einer langen Reise quer durch Europa schlicht das Geld ausgegangen. „In Halle kannten wir jemanden, also warum nicht Halle?“

So schlimm war es dann auch nicht, sagt Adrian Carr. Sogar ganz im Gegenteil, nickt Bruder Phil, der als seinen Beruf bis heute Troubadour angibt. „Ich singe nicht nur, ich unterhalte Leute“, sagt er. Der Gitarrist der Carr Brothers - Adrian spielt den Bass - trägt ein Fußballdress vom Birmingham FC, erfolgstechnisch gesehen eine Art britischer Bruder des Halleschen FC. Das Trikot ist Schwarz, Rot und Gold, es stammt aus dem Jahr 1972 und hat mal Platz sieben in einer Abstimmung über die hässlichsten Jerseys aller Zeiten belegt. Die Carrs, Söhne einer Familie, in der jeder immer alles mitsingen durfte, haben ein großes Herz auch für das Hässliche. Man müsse dann genauer hinschauen, sagt Adrian. Und Phil spult auf dem Rekorder zu einer Deutschland-Hymne, die sie mal geschrieben haben, auf die Melodie eines alten englischen Volksliedes. „Good old germany“, singt er da. Adrian neben ihm probiert komische Mützen auf.

Selbstverständlich ist Halle nicht die schönste unter den Städten der Welt. Selbstverständlich war Ostdeutschland Mitte der 90er kein Paradies. Und selbstverständlich meckern die Hallenser ständig. „Aber wer Birmingham kennt“, grient Phil Carr, „der hat schon den Eindruck, dass er sich nicht verschlechtert hat.“

Zumal Halle spannender ist. Die Carr-Brüder geraten hier mitten in eine Zeit des Umbruchs. Das Alte ist noch zu sehen, das Neue noch nicht fertig. Eine Zeit der Möglichkeiten, in der Geschichte vor der Haustür geschieht. Die beiden Briten sind neugierig, vor allem auf die Menschen in Halle. Und die enttäuschen sie nicht. „Wir haben viele Freunde hier gefunden“, sagt Adrian Carr, der den Eindruck hat, dass sein trockener englischer Humor an der Saale gut verstanden wird. „Wenn mich jemand fragt, wie ich nach Halle gekommen bin, sag ich, mit dem Zug“, gibt er ein Beispiel. Das komme allerdings selten vor, behauptet er, seltener jedenfalls als bei den Besuchen in der alten Heimat. „Dort fragen sie mich öfter nach meinem komischen deutschen Akzent.“

Bruder Phil zieht den Vergleich mit den anderen Ländern, die er gut kennt. In England seien die Leute behaarter, in Finnland sei es kälter. Adrian nickt. „Davon abgesehen gibt es überall Idioten, aber es ist auch überall genug Platz, einen Bogen um sie zu machen.“

Deutschland ist gut und Halle ein schöner Platz zum Leben. „Hier kann man Fahrradfahren, ohne dabei erschossen zu werden“, lobt Adrian Carr, der bis heute neugierig durch die Straßen seiner neuen Heimatstadt streift. An jeder Ecke lauern Phänomene, Bräuche und exotische Sportarten wie Wasserball, über die sich Lieder machen lassen. Die Brüder singen spontan: „Wasserball, Wasserball“. Der Song ist noch nicht ganz fertig, das hat er gemeinsam mit dem über Buna und Leuna und den vielen anderen, unter denen auch ein paar weitere Stadtteilhymnen sind. Die Carr-Brüder haben Ideen für ein ganzes Album, lassen sie wissen, nur fertigschreiben und einspielen müssten sie die Lieder noch. „Das geht aber nur, wenn man Spaß hat“, sagt Phil Carr, „und Spaß hat man nur, wenn man sich Zeit lässt.“

Phil Carr live in Halle: 3. März Brauhaus, 4. März Spätschicht, 5. März Irish Pub Nante’s