Pete Townshend Pete Townshend: «Ich hatte schlicht Angst»
Halle (Saale)/MZ. - Immer noch. Und immer noch schmettert sein Kollege Roger Daltrey, der auch auf die 70 zugeht, dazu jene berühmten Zeilen vom "Teenage Wasteland". Daltreys Stimme ist nicht mehr so schillernd und kraftvoll wie früher, aber er schafft es immer noch, das Hymnenhafte der Songs zu zelebrieren. Und auch wenn Townshend keine Luftsprünge mehr wagt, hat er immer noch eine Präsenz, die alle Blicke auf sich zieht.
The Who sind - wieder einmal - auf Tournee in den USA, sie spielen ihre Rock-Oper "Quadrophenia" und ihre größten Hits. Und mittendrin wird diese Show noch zu einem sehr lauten Requiem für ihre beiden verstorbenen Kumpel John Entwhistle und Keith Moon, von denen Film-Mittschnitte in das Live Spiel der Band eingewoben werden.
Am Tag darauf treffen wir am späten Nachmittag einen sehr entspannten Pete Townshend in einem Hotel am Central Park. Nach Konzerten schlafe er oft bis in den frühen Nachmittag, dann aber gehe es ihm blendend, sagt er. Der 67-jährige Brite ist nicht gekommen, um über die Nostalgie-Übungen der Who zu reden, sondern über seine Autobiographie "Who I Am". Es ist keine der üblichen Rock-Vita-Anekdotensammlungen, eher das Psychogramm eines wilden Empfindsamen, das Selbstzweifel, Narzissmus und Abstürze ebenso beleuchtet wie seine Verwicklung in einen Kinderporno-Skandal.
Mit Pete Townshend
sprach Martin Scholz.
Townshend: Bevor Sie loslegen, müssen Sie mir sagen, was Sie von meinem Buch halten. Ein paar meiner besten Freunde finden es nämlich zum Teil schwer erträglich. Ist das so?
Es ist sehr offen. Sie schreiben über Ihre Depressionen und Selbstzweifel, über Entzug und Therapiesitzungen und über die Zeit, als Sie wegen des Verdachts Schlagzeilen machten, im Internet kinderpornografische Bilder gekauft zu haben. Es ist eine Abrechnung mit sich selbst, aber es hat nicht jene exzessive Unbedarftheit wie die Biografie von Keith Richards.
Townshend: Ich hätte natürlich auch so ein Buch wie Keith schreiben können, vollgestopft mit aberwitzigen Anekdoten aus dem verrückten Leben der Who.
Etwa wie Ihr Schlagzeuger Keith Moon einmal einen Lincoln Continental im Swimming Pool eines Holiday Inn versenkte…
Townshend: Dass wir uns nicht missverstehen: Es macht Spaß, solche wahnsinnigen Geschichten auszugraben. Nur zweifelte ich oft an der Klarheit meiner Erinnerungen. Mitunter fragte ich mich, ob ich nicht selbst all die Mythen über uns wiederkäue, statt die Wahrheit zu erzählen. Ich wollte ein ehrliches Buch schreiben, meine Geschichte erzählen.
Sie schreiben, wie groß Ihre Bewunderung für John Lee Hooker ist, der 1989 auf Ihrem Album "The Iron Man" dabei war. Bis kurz vor seinem Tod im Jahr 2001 hat der 83-jährige Bluesmann noch Konzerte gegeben. Streben Sie das auch an, Musik machen, bis es nicht mehr geht?
Townshend: Überhaupt nicht. Ich weiß, dass beispielsweise Keith Richards das ganz anders sieht als ich. Er glaubt ja wirklich, seine Musik so lange spielen zu können, wie er will. Bei mir ist das anders. Meine Bühnen-Auftritte sind eher Installationen, sie erfordern mehr als nur musikalisches Können. Gestern Abend haben wir das zweite Konzert dieser Tournee hier in Brooklyn gegeben. Nach den Proben und Vorbereitungen hatte ich das erste Mal das sichere Gefühl: Ich kann wieder Gitarre spielen und mich gleichzeitig dazu bewegen.
Sie haben Ihre Windmühlen-Technik vorgeführt, bei der Sie den ausgestreckten rechten Arm immer wieder kreisen lassen und dabei auf die Saiten dreschen. Ist das auch mit 67 noch so leicht, wie es aussieht?
Townshend: Nein, es ist ein sehr körperbetontes Gitarrenspiel, fast wie ein Tanz. Und es ist sehr anstrengend. Ich weiß nicht, wie lange ich das in dieser Intensität noch machen kann. Mick Jagger, der in seinen Konzerten zigmal die Bühne auf- und abläuft, wird sich ähnlich fühlen. Keith Richards dagegen macht seine Arthritis zu schaffen. Mit ein paar Injektionen kann er bestimmt ein paar Shows durchstehen, aber sicher nicht mehr eine komplette Welttournee.
Nun feiern die Rolling Stones gerade ihr 50-jähriges Bestehen mit fünf Konzerten in London und New York. Werden Sie sich eines davon ansehen?
Townshend: Nein. Wir sind in der Zeit ja selbst auf Tour. Ich bin immer noch mit jedem von ihnen eng befreundet. Aber selbst wenn ich Zeit hätte, würde ich wahrscheinlich nicht hingehen. Die Stones haben meine Jugend mit ihrer Musik und ihren Auftritten geprägt. Ich möchte sie so und nicht anders in Erinnerung behalten. Mick war in den 70ern oft bei The Who. Er wollte sehen, was wir zu bieten haben.
Als Ihre Autobiografie vor ein paar Wochen auf Englisch erschien, machte sie Schlagzeilen, weil Sie darin schreiben, dass Mick Jagger "gut ausgestattet" sei - womit sie Keith Richards widersprechen, der in seinen Erinnerungen ja genau das Gegenteil behauptet. Sie setzen dann noch eins drauf und behaupten Jagger sei der einzige Mann, mit dem Sie je hätten Sex haben wollen. Was sagt er dazu?
Townshend: Er hat mich nie darauf angesprochen. Erst kürzlich habe ich ihn getroffen. Ich kann nur sagen: Er wirkte viel entspannter als sonst, seine Partnerin L´Wren Scott ebenso. Er ist ein sehr kluger Kopf, ich habe ihn gerne um mich.
Was schätzen Sie an ihm?
Townshend: Zum Beispiel, dass er nicht abschweift, wenn wir uns unterhalten, er fängt nicht plötzlich an, übers Golfen zu reden, wie so viele andere ältere Musiker. Ich habe öfter mit ihm gearbeitet, und es immer genossen, zuletzt auf seinem jüngsten Soloalbum, aber auch in den Sechzigern, wenn ich zu den Stones ins Olympic-Studio ging, wo sie all ihre großen Alben aufnahmen. Ich bin öfter dort gewesen, um für sie ein bisschen Background-Gesang aufzunehmen, der jedoch nie auf einem der Alben zu hören war. Mick ist bei der Arbeit unglaublich konzentriert, er weiß absolut, was er will. Er liebt nicht nur die Performance, sondern das Managen dieses gewaltigen Apparats, zu dem sich die Stones entwickelt haben. Für ihn müssen sie größer sein als U2 und Roger Waters zusammen.
Ist das der Antrieb, die "greatest show on earth" zu bieten - bis in alle Ewigkeit?
Townshend: Genau das hat die Stones doch immer ausgemacht. Ich befürchte nur, lange wird ihnen diese Ehre nicht mehr zuteil werden. Mir scheint, dass sie allmählich zur Ruhe kommen.
Spricht da der alte Rivale?
Townshend: Nein, gar nicht. Für mich wäre es wirklich schön zu sehen, wenn Mick und Keith endlich in ruhigere Gewässer kämen, statt die Fackel der Stones immer weiter tragen zu müssen. Das gleiche wünsche ich mir übrigens auch für Roger und mich.
Roger Daltrey und Sie, die beiden Überlebenden der Who. Sie haben in den letzten zwanzig Jahren schon oft verkündet, genug zu haben...
Townshend: Es tut uns gut, ab und zu Konzerte zu geben, wenn es sich leicht organisieren lässt. Aber keine Welttournee mehr mit riesigen Stadien. Und ich kann Ihnen versichern, dass ich keinen großen Ehrgeiz habe, das musikalische Vermächtnis der Who bis zum Sanktnimmerleinstag zu feiern. Ich sehe mich immer noch als Songwriter, der einen Job hat.
Neue Songs haben Sie allerdings schon länger nicht mehr geschrieben, dafür eine Autobiografie, in der Sie auch ein sehr ernstes Thema ansprechen. Im Januar 2003 wurden Sie von der Londoner Polizei verhört, wegen des Verdachts, auf einer Website kinderpornografische Bilder angesehen zu haben. Hatten Sie keine Bedenken, das alles noch einmal in Ihrem Buch aufzurollen?
Townshend: Ich habe zunächst gezögert, ja. Aber ich musste das Thema ansprechen. Viele Freunde kannten meine eigene Geschichte.
Sie schreiben, dass Sie als Kind wahrscheinlich missbraucht wurden, als Sie eine Zeit lang bei Ihrer nicht zurechnungsfähigen Großmutter lebten.
Townshend: Ja, als ich eine Gruppentherapie machte, verfestigte sich bei mir diese Ahnung, die ich schon immer gehabt hatte. Ich spürte all die Jahre so viel Zorn in mir.
Den Sie zum Teil auch in Ihren Songs verarbeitet haben, beispielsweise 1969 in der Rockoper "Tommy", die von einem Jungen handelt, der von seinem Onkel sexuell missbraucht wird.
Townshend: Es hat mich schon lange beschäftigt. Als Mitte der 90er Berichte über Kinderpornografie im Internet aufkamen, war ich ziemlich verstört. Ich wollte etwas unternehmen, wollte zeigen, wie Online-Banker, Internetfirmen und Pornoproduzenten mit der sexuellen Ausbeutung von Kindern viel Geld machen. Ich habe im Netz recherchiert und 1999 auf einer Site mit dem Button "Hier klicken für Kinder-Pornos" meine Kreditkarte benutzt. Anschließend habe ich das sofort wieder storniert. Ich habe die Sache dann nicht konsequent weiter verfolgt, sondern Organisationen unterstützt, die sich um Opfer sexuellen Missbrauchs kümmern. Im Jahr 2002 habe ich zu dem Thema einen Essay veröffentlicht. Ich war so arrogant anzunehmen, dass ich als Rockstar etwas dagegen unternehmen könnte. Im Januar 2003 stand mein Name dann auf einer Liste der "Operation Ore"…
… einer vom FBI geführten weltweiten Razzia gegen Kinderpornoringe im Netz, bei der 250 000 mutmaßliche Pädophile anhand ihrer Kreditkarten ausfindig gemacht wurden.
Townshend: Bang! Meine Name stand groß in den Zeitungen. Zuvor hatte ich ja immer wieder ein energischeres Vorgehen gegen Kinderpornografie im Internet gefordert. Genau das passierte jetzt auch: Nur dass sie mich ans Kreuz schlugen. Mein Haus in London war umzingelt von Fotografen und TV-Teams. Die Polizei stellte mich schließlich vor die Alternative: Entweder eine Verwarnung annehmen, was bedeutete, fünf Jahre auf einer öffentlichen Liste für Sexualstraftäter geführt zu werden - oder vor Gericht ziehen.
Warum haben Sie das nicht getan, wenn Sie doch erklären, Sie seien unschuldig?
Townshend: Ich hatte schlichtweg Angst. Nach all dem, was ich bis dahin durchgemacht hatte, wollte ich das nicht auf mich nehmen. Mir war klar: Ganz gleich, ob man mich schuldig oder unschuldig gesprochen hätte, in der öffentlichen Meinung würde ich nie wieder als völlig unschuldig betrachtet werden.
Sie haben sich damit abgefunden, dass Sie die Vorwürfe nie vollständig entkräften können?
Townshend: Ich fand es damals völlig nutzlos, vor Gericht zu ziehen und ich hatte einfach nicht die Kraft dazu.
Ihr Kollege Roger Daltrey hat sich in jener Zeit vehement für Sie stark gemacht.
Townshend: Das brachte uns wieder enger zusammen, nachdem es in den Jahren zuvor ja oft zwischen uns gekracht hatte.
War er für Sie so eine Art Schutzpatron?
Townshend: Das war die Band eigentlich schon immer. Schon als junger Mann habe ich mich dort geborgen gefühlt. Weil ich umgeben war von dieser Horde sehr gewalttätiger Burschen.
Sie haben ja regelmäßig Ihre Gitarre zerdroschen.
Townshend: Ich durfte aus mir rausgehen.
Sie schreiben, den anderen Who-Mitgliedern ein Konzeptalbum zu vermitteln, sei so, als würde man Höhlenmenschen Atomenergie erklären. War es wirklich so schlimm?
Townshend: Meine Frau fand das auch ein bisschen unfair.
Sie galten als das Gehirn des Rock"n"Roll.
Townshend: So was in der Art.
Ihr Mitstreiter Keith Moon starb schon 1978, John Entwhistle vor zehn Jahren. In den aktuellen Konzerten holen Sie beide mit Film-Einspielungen auf die Bühne zurück. Was empfinden Sie in solchen Momenten?
Townshend: Es sind Momente, in denen mir klar wird, dass wir vieles nie mehr zurückbringen können. So wird das weitergehen. Irgendwann sind wir nicht mehr da. Dann existieren wir nur noch auf solchen Videowänden, als Projektionen von Menschen, die wir einst waren.