Perle im Büchermeer: «Was mit Kate geschah»
Hamburg/dpa. - Manchmal ist Werbung sinnvoll: Wäre auf dem Umschlag des Romans «Was mit Kate geschah» nicht vermerkt, dass dieses Werk bereits einen Preis gewonnen hat, dann liefe dieses Erstlingswerk von Catherine O'Flynn tatsächlich Gefahr, im Ozean der Bücher unterzugehen.
Hinzu kommt die hymnische Bewertung des kanadischen Schriftstellers Douglas Coupland: «Grandios, wundervoll, ich liebe jede Seite dieses Romans.» Der Wert dieser literarischen Perle offenbart sich nicht auf den ersten Blick, zumal die Geschichte recht wunderlich beginnt und eine Zeitlang nicht ersichtlich ist, wohin sie eigentlich strebt.
Kate, ein zehnjähriges Mädchen geht eines Tages aus dem Haus und kommt nicht wieder - scheint sich einfach in Luft aufgelöst zu haben. Zwanzig Jahre später traut Kurt, ein Wachmann im Einkaufszentrum «Green Oaks», seinen Augen nicht: Auf einem seiner vielen Überwachungsbildschirme sieht er mitten in der Nacht ein kleines Mädchen mit einem Stoffaffen im Arm durch die menschenleeren Gänge irren. Das Kind sieht genauso aus wie die kleine Kate, die Kurt noch kannte. Niemand glaubt ihm, bis auf Lisa aus dem Plattenladen. Gemeinsam machen sich die beiden auf die Suche durch die endlosen Weiten von Green Oaks und stoßen dabei auf furchtbare Geheimnisse.
Vertrauensvoll gibt die Autorin ihrer Leserschaft die kleine Kate an die Hand. Das Mädchen hat ja sonst niemanden, der es durchs Leben begleitet. Früh schon hat die Kleine ihre Eltern verloren und wächst nun bei ihrer Oma auf, die sich nur widerwillig und mehr schlecht als recht um ihre Enkelin kümmert. Um der Trostlosigkeit zu entfliehen, schafft sich das intelligente, liebenswerte Kind eine eigene Welt. Kate träumt davon, Verbrecher zu schnappen. Mit ihrem Partner Mickey, ihrem selbst genähten Stoffaffen, gründet sie ein Detektivbüro und geht mit einer drolligen Ernsthaftigkeit ans Werk. So oft wie möglich, fährt Kate zum Observieren ins nahegelegene Einkaufszentrum, weil sie glaubt, hier werde irgendwann einmal etwas Schreckliches passieren. Das will sie aufklären.
Kaum ist dieses einsame, tapfere Wesen dem Leser ans Herz gewachsen, muss er sich auf eine andere Erzählperspektive einstellen. Wenn zunächst aus der Sicht des Kindes erzählt wurde, rücken nun der Wachmann Kurt und die im Verkauf angestellte Lisa sowie das menschenfeindliche Einkaufszentrum in den Vordergrund. Die Autorin wirft einen kritischen Blick hinter die schillernde Fassade des Shoppingcenters, zeigt die große Kluft auf zwischen den Bedingungen für die Kundschaft und denen für die Beschäftigten: grüne Ruhezonen, luftige Atrien, Wasserspiele, luxuriöse Toiletten für die einen, düstere Versorgungsgänge, lange, graue Tunnel aus nackten Porenbetonsteinen, der penetrante Geruch der Kanalisation und vorbei huschende Ratten für die anderen.
Catherine O'Flynn schreibt mit einer unaufgeregten Intensität. Sie weiß genau, wo sie hin will, und führt dabei die handelnden Personen spannungsreich durch komplexe Außen- und Innen-, Unter- und Oberwelten, Vergangenheit und Gegenwart bis hin zum überraschenden Finale. Wer nach dieser Lektüre wieder ein Einkaufszentrum betritt, sieht es vermutlich mit ganz anderen Augen. Und wird sich dann kaum wundern, wenn plötzlich eine kleine Kate vor ihm steht.
Catherine O'Flynn
Was mit Kate geschah
Atrium Verlag, Zürich
272 S., Euro 19,90
ISBN 978-3-8553-5580-8