Panoramabild Panoramabild: Yadegar Asisi lässt Pergamon auferstehen
BERLIN/MZ. - Zimperlich sind die griechischen Götter nicht, die die schlangenbeleibten Giganten im Kampf um die Vorherrschaft niedermetzeln. In furios gemeißelter Plastik wird die Geschichte auf dem Fries des "Großen Altars" von Pergamon erzählt. Das zeitweise mächtige Königreich im Kleinasien des 2. Jahrhunderts vor Christus besingt so seine Siege über die Kelten und damit den Mythos von der Erhabenheit der Hellenen über die Barbaren.
Dieses Weltwunder der hellenistischen Plastik lockt 1,8 Millionen Besucher pro Jahr ins Pergamon-Museum auf der Berliner Museumsinsel. Derzeit jedoch stolpern sie an einer Baustelle vorbei, aus der haushoch ein stählerner Zylinder ragt, mitten im Vorhof der Dreiflügelanlage. Das Ding sieht aus wie ein Gasometer. Wappnet sich das Museum für die Energiekrise? Wohl nicht, wie den Transparenten ringsum zu entnehmen ist. Drinnen im Koloss wird von Ende September an das "Panorama der antiken Metropole" zu sehen sein, ein Pergamon, so grandios wie seit der Antike nicht mehr.
Die Gestalt des Zylinders ist für den Ideengeber kein Zufall. Der vormalige Professor an der Berliner Hochschule der Künste, Yadegar Asisi, lockt seit Jahren Besucherscharen in seine "Panometer". Die Stadtwerke in Leipzig und Dresden haben stillgelegte Gaskessel für seine Projekte geöffnet: "Mount Everest", "Rom in Jahr 312" und "Dresden 1756" - allesamt auf eigenes Risiko vorfinanziert und durch Eintrittsgelder und Veranstaltungen bezahlt. Genauso müssen nun auch die dreieinhalb Millionen Euro für Pergamon eingespielt werden.
Die Wissenschaftler der Berliner Antikensammlung waren beeindruckt. Sie baten Asisi, für die Pergamon-Ausstellung ein Panorama und sogar die komplette Gestaltung zu entwerfen. Es ist der vorläufige Höhepunkt eines abenteuerlichen Lebenswegs. Asisis Familie stammte aus dem Iran des Schahs, wo sein Vater 1955 von dessen Schergen ermordet worden war. Da er Kommunist war, bot die DDR seiner Mutter Asyl an. Auf der Reise wurde der Sohn in Wien geboren. Sie zogen in die Reichardtstraße in Halle, bevor sie nach Dresden umzogen. In Leipzig, erzählt Asisi, lernte er auch Werner Tübke, später sein Bad Frankenhausener Panorama kennen.
Doch die Abwesenheit räumlicher Perspektive in diesem symbolbeladenen Bildprogramm macht es in Asisis Augen nicht eigentlich zu einem Panorama. Vielmehr geht er auf die Ursprünge des Rundbilds zurück und belebt den "Dinosaurier der Massenunterhaltung" mit zeitgemäßen Mitteln neu. Das Eintauchen der Betrachter in eine Welt räumlicher Illusion begründete den Erfolg des Panoramas, dessen Technik sich der Ire Robert Baker 1787 patentieren ließ. Hundert Jahre danach strömten die Berliner schon einmal in ein Pergamon-Panorama, als die Funde der ersten Grabungen nach Berlin kamen.
Was damals in jahrelanger Handarbeit an der Leinwand entstand, fügt Asisi nun aus zigtausenden von digitalen Fotos vom Originalschauplatz zusammen. Rund hundert Statisten in historischen Kostümen ließ er agieren, hat sie dann ebenso digital multipliziert und in seine rekonstruierte Stadtszenerie einmontiert.
Ein Frühjahrstag im Jahr 129 lebt auf. Da war Kaiser Hadrian zu Besuch. Mit Gefolge zieht er durch die dicht bevölkerte Szenerie der Stadt am Hang zum Trajaneum hinauf, dem römischen Tempel, der die grandios am Hang aufsteigende Szenerie der Stadt in einer sieghaften Geste der Macht überkrönt.
Doch es ist mit rein handwerklich-altmeisterlichen Mitteln, dass er auch den berühmten Götter-Giganten-Fries wundersamerweise auferstehen lässt, als wäre er nie zerstört worden. In seinem Atelier in einem Kreuzberger Hinterhaus über riesengroße Zeichnungen gebeugt, erzählt er von seinem Deja-vu-Erlebnis, saß er doch schon als Kunststudent mit dem Skizzenblock vor den Plastiken. Asisi fügt die Bruchstücke zu einem Ganzen zusammen, holt Figuren von anderer Stelle oder lässt freie Erfindung walten, um Gliedmaßen, Waffen und Gewänder neu zu schaffen, Gesten und Posen zu ersinnen und - am Beispiel einer Friesplatte - sogar eine hypothetische farbige Fassung. Frappierend ist seine Einfühlung in den Stil des hellenistischen Bildhauers. "Heutige Bildhauer", setzt er kühn hinzu, "könnten in 20-30 Jahren den ganzen Fries in der Ästhetik des Originals neu schaffen."
Darf man das, ist genau die Frage, die er entschieden mit Ja beantwortet und darin zugleich das Außergewöhnliche, ja Beispielgebende der Zusammenarbeit mit den Wissenschaftlern hervorhebt. "Die Wissenschaftler", sagt er, "lassen nur gelten, was gewusst ist." Aber die Beschränkung auf die Funde, wie sie sind, auf Archive und Quellen, lässt den Laien ratlos vor Bruchstücken zurück. "Hier kann der Künstler einsetzen. Der Wissenschaftler liest, der Künstler sieht."
Asisi lässt den Rundgang durch die Ausstellung im Panorama beginnen. "Hier kann man die Leute emotional, im Herzen ansprechen." Dann führt der Parcours über Rampen und neu geschaffene Eingänge nicht wie bisher gleich vor den Altar, sondern an 450 Exponaten vorbei, die bisher im Depot schlummerten und nun die Kulturgeschichte Pergamons erzählen. Am Ende tritt man vor den Großen Altar, den er mit Spiegeln in die Tiefe fortsetzt. "Da wird man sich an das Panoramabild erinnern", sagt Asisi, "und ihn als Teil der Stadt verstehen." Und fügt an: "Niemand soll mehr ohne Wissensgewinn aus dem Museum gehen." Einen "Meilenstein in der Museumslandschaft" will er schaffen, und zu seiner eigenen Verwunderung scheinen das die Museumsleute genauso zu sehen.
Pergamon - Panorama der antiken Metropole: Pergamonmuseum Berlin, vom 30. September 2011 bis 30. September 2012, täglich 9-18, Do bis 21 Uhr.