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Ostrock-Legende Thomas Schoppe Ostrock-Legende Thomas Schoppe: Renft: Von Abenteuerlust und Dummheit

Von Steffen Könau 14.10.2015, 13:45
Der Letzte seiner Art: Der aus Eisleben stammende Thomas Schoppe, den Fans und Kollegen „Monster“ nennen, in seiner Wahlheimat Zeulenroda.
Der Letzte seiner Art: Der aus Eisleben stammende Thomas Schoppe, den Fans und Kollegen „Monster“ nennen, in seiner Wahlheimat Zeulenroda. Steffen Könau Lizenz

Halle (Saale) - Die Gitarren jaulen, wenn er den Regler hochschiebt. Thomas Schoppe verzieht das Gesicht. So geht das nicht, knurrt er Richtung Mischpult und dreht sich weg. „Das klingt noch nicht so, wie es soll“, sagt er, „aber ich bin dran“. So sehr, dass der Sänger der legendären Band Renft bei all dem Gefrickel im Studio in Zeulenroda sein Jubiläum glatt vergessen hat. 40 Jahre ist er her, der Tag, der seine Rockstar-Karriere beendet, sein Leben aus der Bahn geworfen und ihn zum letzten Aufrechten der ersten Ostrock-Generation gemacht hat.

Aus dem Kinderheim zum Ruhm

Achselzucken. Aha. Schoppe, geboren in Eisleben als Enkel eines Bergmanns und in einem Kinderheim großgeworden, steckt auch mit 70 bis zu den Ohren in der Gegenwart. Keine Zeit für Vergangenheit, kein Gedanke an diesen Sommer 1975, als aus seiner hochgelobten Rockgruppe eine Bande verfemter Staatsfeinde wurde. Thomas Schoppe, den Fans und Kollegen wegen seiner kräftigen Stimme nur „Monster“ nennen, ist nicht einmal aufgefallen, dass er nach dem Abschied der Puhdys nicht mehr nur in seiner vielmals veränderten Renft-Band der einzige von früher ist. Sondern der dienstälteste Sänger im ganzen Ostrock.

Achselzucken. Aha. Der Mann mit den grauen Locken, die immer noch prächtig sprießen, geht pragmatisch mit solchen Wegmarken um. Bandgründer Klaus Renft ist gestorben, Gitarrist Peter Gläser auch, Texter Gerulf Pannach ist tot und Saxophonist Peter Kschentz hat der Krebs geholt. Schoppe singt einfach weiter und seine Renft-Band steht aufrecht wie die Revolutionäre in ihrem Hit „Nach der Schlacht“. „Und man stellt sich auf das verbliebene Bein“ geht die Zeile im Lied, „denn der Kampf wird viel, viel länger sein.“

Aber so lang? Seit fast 50 Jahren steht der „Zonenjunge“ (Schoppe über Schoppe) am Renft-Mikrophon und singt mit Halsadern wie Stahlseile „Der Wind weiß, was mir fehlt“ und das „Liebeslied“.

Das verbliebene Bein einer Generation, die am Verschwinden ist. „Es kostet Kraft, weiterzumachen“, gibt Schoppe zu, „es bleibt keine übrig, um nachzudenken, was hätte sein können.“ Dabei wäre das in seinem Fall alles Mögliche gewesen. Kein Verbot dafür, dass Renft „die Arbeiterklasse verletzt“ und „die Staatsorgane diffamiert“, wie es im Urteil der DDR-Behörden hieß. Keine Geheimaufnahmen. Keine Bittbriefe an Honecker. Kein Auseinanderbrechen der Band. Kein Gefängnis. Keine Ausreise in den Westen. Und kein Scheitern an den Marktmechanismen dort, von denen die Rebellen des DDR-Rock so viel wissen wie davon, eine volle Flasche Schnaps ungeleert auf dem Tisch stehenzulassen.

Thomas Schoppe, der heute als letztes Originalmitglied von Renft 40 bis 50 Konzerte im Jahr spielt, hat schon vor jenem ersten Herbsttag ’75 bemerkt, wie die Band und sein Leben langsam verschlungen wurden von einem anderen Monster namens Ideologie. „Wir wollten stilistisch anders werden, aber vor allem wollten wir nur noch die Wahrheit singen“, sagt er.

Ein interner Kampf um den Weg, der Streit und Frust bringt. Aber auch neue Ideen. Weg vom Liedhaften des DDR-Rock soll es gehen. Und weg von den Botschaften zwischen den Zeilen. „Es waren Abenteuerlust und Dummheit, die uns geleitet haben“, glaubt Schoppe, „wir wussten, dass wir einen Wert haben, aber wir wussten nicht, wie weit wir ihn ausreizen können.“

Lesen Sie auf der nächsten Seite unter anderem mehr zum Auftrittsverbot und das Schicksal der Band in der DDR.

Er selbst singt dem schon mit einem Auftrittsverbot belegten Renft-Texter Gerulf Pannach die erste Zeile der „Rockballade vom kleinen Otto“ vor, die später ein Grund für das Verbot sein wird. „Seine Kinderjahre lagen ihm im Magen / wie Steine, doch er weint nicht mehr“. Danach kommt Schoppe, der 1961 versucht hatte, über die Mauer zu fliehen, nicht mehr weiter mit dem Text. Pannach, Poet, Biermann-Schüler und rasiermesserscharfer Kritiker des DDR-Systems, hat damit kein Problem. „Manchmal sagte Otto / Leben ist wie Lotto / doch die Kreuze macht ein Funktionär“, reimt er. Die ganze DDR in drei Zeilen.

Es habe nie einen Gedanken daran gegeben, vielleicht etwas diplomatischer vorzugehen. „Wir hatten nur, was wir hatten, und damit wollten wir durchkommen.“

Die Musiker von Renft sind Mitte 20, Anfang 30, sie trinken gern, feiern, leben ein Leben im DDR-Sozialismus, aber nicht im sozialistischen Gang. Bandgründer Klaus Renft, der Älteste und Erfahrenste von ihnen, versucht, Kompromiss mit dem Staat auszuhandeln. Gemeinsame Proben mit einer FDJ-Singegruppe etwa, zu der die spätere Silly-Sängerin Tamara Danz gehört. Schoppe sagt heute, er habe den Konflikt mit „denen“ unlösbar in sich gespürt. „Die haben die Mauer verteidigt, die ich um keinen Preis akzeptieren konnte.“

Er macht mit, weil es um die Band geht, die den Regeln des Staates folgen muss, in dem sie rocken will. „Aber Klaus ist beim Brückenschlagen so weit gegangen, dass wir nur glaubwürdig blieben, wenn wir auf der anderen Seite zu weit gingen.“ Die Puhdys, sinniert Schoppe, seien immer schlauer gewesen. „Geld und fertig.“

Bei Renft war es komplizierter, denn zumindest ein Teil der Gruppe glaubt, dass Rockmusik und Rebellentum nicht nur als Rollenspiel zusammengehören. „Wir waren frech“, sagt Thomas Schoppe, „denn wir glaubten, wir sind unbesiegbar.“ Kompromisse lehnt er ebenso ab wie Pannach und Christian Kunert das tun. „Das war eine Kraftprobe mit dem Staat, die wir herausgefordert haben.“

Dabei mehren sich die Zeichen früh, dass der an seinen Grenzen nicht rütteln lassen wird. „Es wurden Konzerte abgesagt, wir wurden zurückgestuft, es gab Aussprachen.“ Aber kein Zurück, selbst als „die Freunde mit den kleinen Taschen“, wie Schoppe die Stasi-Spitzel nennt, in jedem Konzert argwöhnisch darüber wachen, was gesagt und gesungen wird.

Auf einmal abgeschossen

Der Septembertag, an dem alles endet, kommt überraschend. Zehn Uhr morgens, die Sonne scheint und alles ist aus. „Wir standen auf der Abschussliste“, erinnert sich Thomas Schoppe, „aber abgeschossen zu werden, ist doch noch etwas anderes.“ Mit einem Schlag ist alles weg. Die Band. Der Traumberuf. Die Karriere. Der Job. Die Verpflichtungen. „Geld kam noch eine Weile aus der Rechteverwertung, aber man lebte wie im Nichts.“ Erst nach und nach sei ihm bewusst geworden, dass die schwer erarbeitete Position, die Zukunft, dass alles, was er bis dahin im Leben erreicht hatte, verloren ist. „Da kann man nicht einfach so loslassen.“

Erst als die DDR ihm klar macht, dass er keine Zukunft hat im Arbeiter- und Bauernstaat, begreift er langsam. Der Fall Renft liegt auf Honeckers Schreibtisch. Der beendet Schoppes Traum, Musiker zu sein, zu singen und Menschen mit Liedern zu begeistern, persönlich. Pannach und Kunert werden in Berlin verhaftet, als sie sich mit Westjournalisten treffen wollen. Schoppe hat Glück, er kommt zu seiner eigenen Verhaftung zu spät und erst mal um den Knast herum.

Doch das Hoffen auf die zweite Chance ist auch für ihn vorbei. Drei Jahre nach dem Verbot reist Monster, 33 Jahre alt, gelernter Mechaniker und ein vollbärtiges, langhaariges Postergesicht der DDR, nach Westberlin aus. Dort arbeitet er nach vergeblichen Anläufen, wieder eine Band zu gründen, in einem Kinderheim. Eine der größten Stimmen des deutschen Rock singt in einer Coverband Steppenwolfs „Born to be wild“. Ein Stasi-Spitzel meldet: „Musikalisch ist keine Öffentlichkeitswirksamkeit der Zielperson feststellbar“.

Die Zielperson sieht abends manchmal DDR-Fernsehen mit den Puhdys, den alten Renft-Rivalen. Es ist nicht so, das Thomas Schoppe nicht traurig wird. „Aber dann habe ich mal einen Puhdys-Kollegen in Kreuzberg gesehen, bepackt mit Bananentüten und Ananas“, schmunzelt er. In diesem Augenblick hat Thomas Schoppe beschlossen, dass er dem, was ihm die DDR genommen hat, nicht nachtrauern wird. „Ich habe dafür fremde Länder gesehen“, sagt er, „und die Welt bereist, als die Mauer noch stand.“ So war es, und so war es gut. „Ich war kein Fan dieser DDR, aber ich habe meinen Frieden mit ihr gemacht.“ (mz)

Renft bei Brohmers in Halle
Renft bei Brohmers in Halle
Privat Lizenz
Thomas Schoppe
Thomas Schoppe
Steffen Könau Lizenz
Der aus Eisleben stammende Thomas Schoppe, den Fans und Kollegen „Monster“ nennen, in seiner Wahlheimat Zeulenroda.
Der aus Eisleben stammende Thomas Schoppe, den Fans und Kollegen „Monster“ nennen, in seiner Wahlheimat Zeulenroda.
Steffen Könau Lizenz
Renft 2011 v. links: Gisbert Piatkowski (Pitti), Detlef Kriese (Drums- Delle), Thomas Schoppe (Monster), Marcus Schloussen (Basskran)
Renft 2011 v. links: Gisbert Piatkowski (Pitti), Detlef Kriese (Drums- Delle), Thomas Schoppe (Monster), Marcus Schloussen (Basskran)
Harald Sulski Lizenz