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Oper Halle Oper Halle: "Carmen" aus weiblicher Sicht

Von joachim lange 05.10.2015, 10:31
Szene mit Svitlana Slyvia (Carmen)
Szene mit Svitlana Slyvia (Carmen) FALK WENZEL Lizenz

halle (Saale) - Was wir für spanisch halten, haben wir einer der populärsten französischen Opern zu verdanken: Georges Bizets „Carmen“ ist der Opernhit schlechthin geworden. Liebe, Leidenschaft, weibliche Rebellion, männliche Rache - da ist alles drin, was die bürgerliche Seele erschaudern lässt.

Dazu eine Musik wie für die Hitparade gemacht. „Auf in den Kampf“, wer kennt das nicht. Oder die Habanera, mit der die Titelheldin auftritt. Die strotzt vor weiblichem Selbstbewusstsein, das erst im Zeitalter und der Weltgegend, in der die Emanzipation zu den Grundwerten zählt, nicht mehr als verrucht gilt. Doch selbst wenn Carmen im 19. Jahrhundert aus der Geschlechterrolle fiel, waren die Männer um sie herum auch für sich genommen Machos wie aus dem Bilderbuch. Ob nun offen wie der Torero Escamillio oder hinter der biederen Fassade von Mamas Liebling wie der Sergant Jose. Wenn beide dieselbe Frau lieben, dann muss diese Melange aus Liebe und Eifersucht zwangsläufig tödlich enden. Tut sie auch.

Jede Menge Sexappeal

Man könnte nun all die Klischees auffahren, um die Explosion der Leidenschaft in Szene zu setzen. Regisseurin Julia Huebner und ihr Team (Bühne: Iris Holstein, Kostüme: Esther Randani) stemmen sich dagegen. Ihre Carmen ist eher eine taffe Donna Carmen als eine Carmencita, die den Männern reihenweise den Kopf verdreht. Einmal wird sie Teufelin genannt, aber Svitlana Slyvia tritt so formbewusst auf, dass sie mehr als Prokuristin des Teufels daherkommt. Auch Bizets Zigarettenarbeiterinnen sind im Grunde schicke Frauen, die da an den fünf mal fünf Tischen Platz nehmen. Akkord sieht anders aus. Die Männer sind keine testosterongesteuerte Soldateska, sondern der Wachschutz mit Frühstücksbrot und Apfel von Mutti. Jose würde hier wirklich besser zu Michaela passen, zumal die von Marianne Fiset kraftvoll und selbstbewusst von ihrem Landei-Image befreit wird. Bei Linda van Coppenhagen und Olivia Saragosa schließlich haben Frasquita und Mercédès zwar nichts zigeuner(klischee)haftes (die Rollenbezeichnung heißt nun mal Zigeunerin), dafür aber jede Menge Sexappeal.

Auf der Gegenseite haben die Schmugglerfreunde Carmens, Dancaïro (Robert Sellier) und Remendado (Björn Christian Kuhn) vor allem füreinander etwas übrig, inklusive Kuss auf offener Szene. Der Torero indes im blauen Anzug und weißen Schuhen hat schon bessere Tage gesehen. Es bleibt Gerd Vogels intensiver Gestaltung dieser Paraderolle vorbehalten, den traurigen Clown hinter der Fassade freizulegen.

Off-Dialoge gehören zur Handlung

Der Kern dieser weiblichen Sicht ist freilich jene Dame in Schwarz mit der weißen Maske, die immer aufs Stichwort auftaucht: Madama La Morte - Der Tod ist in den romanischen Ländern weiblich. Und das wird hier konsequent durchgespielt. So wird die düstere Szene kurz vor dem Stierkampf, bei der ein trauriger Escamillo eingekleidet wird, Carmen ihm vom Bett aus zusieht und rechts der Chor (bewährt: Jens Petereit) in den Masken des Todes und links der ebenfalls schwarze Kinderchor (fabelhaft von Peter Schedding betreut) mit schwarzen Luftballons jubelt, zur stärksten Szene des Abends.

Die aus dem Off eingespielten Dialoge gehören zur Handlung und wirken wie Momente des inneren Nachdenkens. So kann sich der vokale Luxus entfalten, mit dem vor allem Carmen und Xavier Moreno triumphieren. Das ist großformatig gesungen und erhebt sich zusammen mit dem, was Andreas Henning und die Staatskapelle aus dem Graben an musikalischer Leidenschaft beisteuern, befreiend über die manche Gedankenschwere. (mz)

Nächste Vorstellung am Mittwoch um 19.30 Uhr.