Norman Mailer Norman Mailer: 80 Jahre alt und kein bisschen leise

New York/dpa. - Schon vor Jahren hat sich Norman Mailer fürs Altenteil einen schönen Platz gesucht. Ein Haus am Meer auf der Insel Cape Cod. In Laufnähe liegt das Zentrum von Provincetown, wo sich Maler und Dichter niedergelassen haben, wo Schwule und Lesben so unbehelligt leben wie im Regenbogenviertel von San Francisco. Und wo die Souvenirläden Sommerfrischlern aus dem Rest Amerikas Postkarten und T-Shirts anbieten, auf denen ihr Präsident George W. Bush als Unfall der Geschichte dargestellt wird. Dort fühlt sich der «große Alte der amerikanischen Literatur», wie die «New York Times» ihn ehrfurchtsvoll nennt, so richtig wohl.
Nur zur Feier seines 80. Geburtstags an diesem Freitag (31. Januar) will der kleine Mann mit den immer noch leuchtend hellblauen Augen und der weißen Löwenmähne die Freidenker-Festung am Atlantik für einen Kurztrip verlassen. Zusammen mit seiner sechsten Ehefrau, der Malerin Norris Church, gibt er eine Party in seinem Haus im New Yorker Bezirk Brooklyn, das ansonsten von einigen seiner neun Kinder und acht Enkel genutzt wird. Danach geht es wieder ans Schreiben. Doch Mailer weiß schon, dass er sich immer wieder unterbrechen lassen wird.
In Serien von Interviews und Artikeln für Zeitungen und Magazine in mehr als einem Dutzend Ländern hat der Mann, der 1948 mit «Die Nackten und die Toten» seine Kriegserfahrungen verarbeitete und damit weltberühmt wurde, nicht nur gegen Bush und den aufziehenden Irak- Krieg gewettert. Er hat ein Ideengebäude errichtet, für das ihn Amerikas Ultrarechte gern zum Staatsfeind erklären lassen würde. Er sieht sein Land im Würgegriff einer imperialistischen Verschwörung. Beflügelt vom siegreichen Ende des Kalten Krieges seien Kräfte angetreten, die das Universum militärisch beherrschen wollten. Gemünzt auf die Bush-Regierung sagt der Pulitzer-Preisträger, der oft auch für den Literatur-Nobelpreis im Gespräch war, Furcht erregende Sätze wie diesen: «Der 11. September war das "Sesam öffne dich" auf dem Weg zum Weltimperium.»
So schockierend die Unterstellung sein mag, die von der These der CIA-inszenierten Zerstörung der New Yorker Zwillingstürme nicht weit entfernt ist, so treu bleibt sich Mailer in seiner über Jahrzehnte gepflegten Wut auf die Herrschenden, deren literarische Verarbeitung ihn freilich zum Millionär machte. 80 und kein bisschen leise - anders erwartet man das wohl auch gar nicht von dem Schriftsteller, der sich immer wieder mit der Sinnlosigkeit von Kriegen und mit der tiefen Kluft zwischen dem Anspruch des «American Dream» auf individuelle Freiheit und Selbstverwirklichung und der oft bitteren sozialen Wirklichkeit beschäftigt hat.
Die Spannweite seiner Themen reichte von Krieg und Frieden, Gott und Teufel, Furcht, Gewalt und Faschismus bis zu Sexorgien, Obszönität, Marilyn Monroe, Boxen, Dialektik, Krebs, Todesstrafe und Vereinsamung in einer technologisierten Welt. Nie wieder erreichte er den nahezu ungeteilten Beifall, den ihm mit 25 Jahren «Die Nackten und die Toten» einbrachten. Die Schriftstellerei, sagte Mailer kurz vor seinem 80., sei wie Kapitalismus mit umgekehrten Vorzeichen. Unternehmen wüchsen und holten sich immer mehr Energie. Schreibern gehe dagegen mit den Jahren die Puste aus - und doch meinten sie, unbedingt weitermachen zu müssen.
Seinen Feinden hat Mailer es durch Skandale recht leicht gemacht, ihn abzustempeln als einen dieser windigen Künstlertypen, die Amerikas Freiheit genießen und ansonsten nur auf der Heimat herumhacken würden. In ihr Mailer-Bild passt, dass er 1960 seiner zweiten Frau, Adele Morales, im Vollsuff ein Messer in den Bauch rammte und es umdrehte. Nur weil sie der Anklage die Kooperation verweigerte, kam er mit einer Bewährungsstrafe davon. Drogen- und Alkoholexzesse, wenn ihn Schreibblockaden heimsuchten, gehörten ebenso dazu wie 1969 seine glücklose Bewerbung um das New Yorker Bürgermeisteramt mit dem Slogan «Wählt die Schurken».
In der amerikanischen Öffentlichkeit ist diese Seite Mailers viel stärker präsent als in Europa, wo man ihm zujubelt, wie jedem Amerikaner, der gegen Bush ist. Als die «New York Times» ihn dieser Tage fragte, woran es liege, dass die Bewegung gegen einen Irak-Krieg längst nicht so populär ist wie einst die gegen den Vietnamkrieg, nannte er zwei Gründe: Der 11. September habe bei vielen das Gefühl hinterlassen, dass irgendetwas geschehen müsse. Und der andere sei das schlechte Image Saddam Husseins. «Ho Chi Minh dagegen trug diesen Heiligenschein, der es der Protestbewegung leicht machte.» Einen Heiligenschein trug Norman Mailer ganz gewiss nie. Schon gar nicht, als er 1997 zum Entsetzen der Kirchen ein Jesus-Buch in der Ich-Form veröffentlichte.