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"Neues" von Leonard Cohen "Neues" von Leonard Cohen: Gesänge aus dem Jenseits

Von Steffen Könau 17.12.2019, 13:39
Melancholischer Mutmacher: Leonard Cohen, 2009 in Frankreich
Melancholischer Mutmacher: Leonard Cohen, 2009 in Frankreich dpa

Halle (Saale) - Er nennt ihn „das Gefängnis der Begabten“, diesen Ort, an dem Kunst entsteht, wie er sie sein Leben lang gemacht hat. Leonard Cohen, eine der großen, dunklen Gestalten, die dem stets als leichtgewichtig verdächtigten Popgeschäft eine philosophische Schwere verliehen, starb im November vor drei Jahren im Alter von 82, eine Legende schon zu Lebzeiten.

Neben einer erfolgreichen, aber bald abgebrochenen Karriere als Schriftsteller hatte der Kanadier mit litauischen Wurzeln da schon ein halbes Jahrhundert einer beispiellosen Laufbahn als Musiker, Komponist und Sänger hinter sich. Zur eigenen Verwunderung, denn „ich habe niemals Kunst genannt, woran ich gearbeitet habe“, singt Cohen jetzt im Titelstück des Albums „Thanks for the dance“.

Das enthält das musikalische Vermächtnis des großen Melancholikers, der mit mehr als 23 Millionen verkauften Alben weltweit einer der größten Solokünstler aller Zeiten war. Wobei sein Einfluss auf die Popmusik insgesamt vermutlich noch weitaus bedeutender ist als der kommerzielle Erfolg.

Leonard Cohen trotz schwerer Krankheit: Studio-Aufnahmen in der Garage

Cohens Sohn Adam, der kurz vor dessen Tod schon das letzte Studioalbum seines Vaters „You want it darker“ produziert hatte, ist der eigentliche Vater dieser neun neuen Songs. Wie seinerzeit Johnny Cash, der trotz seiner schweren Erkrankung in den letzten Jahren vor seinem Tod jede Minute mit ausreichender Kraft nutzte, um ins Studio zu gehen, arbeitete auch Cohen im Angesicht seines nahenden Endes an neuen Liedern, mit denen er seinem Pfad treu blieb, „niemandem zu folgen und nichts zu lehren“, wie es im neuen Stück „The goal“ heißt.

Sieben Monate brauchte Adam Cohen, bis er genug Mut fand, die zum Studio umgebaute Garage zu betreten und sich anzuhören, was in den Monaten vor dem Tod seines Vaters im November 2016 auf den Rohbändern gelandet war.

„Thanks for the dance“, das Titelstück, ist ein ironischer Cohenscher Augenzwinkerer, denn Tanzmusik hat der Sohn eines früh verstorbenen Kaufhausbesitzers wirklich nie zu machen versucht. Cohens Großtaten tragen Namen wie „Suzanne“, „Hallelujah“ oder „First we take Manhattan“ und sind meistens poetisch verschlüsselte Selbstgespräche in Moll, in denen es um Gott, den Menschen, Rache, Verzeihen und Vergebung geht.

Drei Jahre nach Tod: Sohn veröffentlicht Leonard Cohens Album „Thanks for the dance“

„Happens to the heart“, das Eingangsstück des insgesamt erst 15. Cohen-Studioalbums seit dem Debüt „Songs of Leonard Cohen“ von 1967, klingt nun vergleichsweise fröhlich. Cohens dunkler Sprechgesang wirkt nicht nur altersweise, wenn er sein Leben zwischen Christus und Karl Marx als gescheiterten Versuch beschreibt, ein Feuer zu entzünden, sondern lebensklug.

Der Pessimismus, der Cohen bewog, Anfang der 90er mitten in die Euphorie über das Ende des Kalten Krieges „Give me back the Berlin wall, give me Stalin and St. Paul, I’ve seen the future, brother, it is murder“ zu reimen, ist verschwunden. Ein „sterbender Funke“ nur habe er all die Zeit lang verbreiten können und „jetzt hat der Engel eine Geige und der Teufel spielt die Harfe“, singt er und klingt dabei amüsiert. Es war nicht alles schlecht, und wenn das selbst ein ausgemachter Schwarzmaler wie Cohen am Ende seiner Tage sagt, muss das eigentlich Hoffnung machen.

Sohn Adam, aufgewachsen auch auf der griechischen Insel Hydra, auf die sich der damals noch schriftstellernde Leonard schon in den 60er Jahren zeitweise zurückgezogen hatten, sieht es so. Als er in seinem Hinterhof-Studio erstmals die alten Aufnahmen abgehört habe, „erklang diese donnertiefe, gebieterische Stimme und es kamen Erinnerungen an die Gespräche mit meinem Vater hoch, als ich seine Worte hörte“, erklärt der 49-Jährige, der sein letztes eigenes Album vor fünf Jahren herausgebracht hat.

Leonard Cohen hat hörbar seinen Frieden im neuen Album gefunden

„Die Vorstellung, dass das alles sehr schwierig sein könnte, wurde dann abgelöst durch eine Art Pflicht, eine Verantwortung“, beschreibt er im Begleittext zum Album. So düster und traurig Leonard Cohen im Angesicht des Endes auf „You want it darker“ geklungen hatte, so hörbar hat er hier seinen Frieden gemacht. Düstere Kapitel wie der Verrat seiner Geliebten und Managerin Kelley Lynch, die sein gesamtes Vermögen veruntreute, erscheinen jetzt im milden Licht des Rückblick.

Wäre er, der sich immer mal wieder vom eigentlich stets ungeliebten Platten- und Konzertgeschäft verabschiedet hatte, ohne die Notwendigkeit, Geld zu verdienen, jemals wieder auf eine Bühne gestiegen?

Und hätte er ein Spätwerk hinterlassen, das ihn im stolzen Alter von 78 Jahren erstmals an die Spitze der Hitparaden weltweit katapultierte, obwohl seine Musik sich dort ausnahm wie ein Rembrandt-Gemälde auf einer Bahnhofstoilette?

Alles gut zum Schluss und ebenso stilvoll wie unprätentiös von Adam Cohen angerichtet. Aus den Skizzen seines Vaters, die oftmals nur aus Cohens gerauntem und gehauchtem Gesang bestanden, hat der Sohn Stücke gemacht, die vor Klassikern wie „Famous blue raincoat“ und „The future“ bestehen können. (mz)