Neues Theater Neues Theater: «Wie im Himmel» eröffnet die neue Spielzeit
Halle (Saale)/MZ. - Wohlfühlen ist im Theater irgendwie aus der Mode gekommen. Dass die Zuschauer mit einem warmen Gefühl in der Bauchgegend eine Inszenierung verlassen, scheint das erklärte Ziel nur weniger Regisseure zu sein. Das Kino hingegen lebt seit Jahren von Filmen, die mit einem Mindestmaß an Anspruch und einer großen Portion Herz bei den Zuschauern für unkontrollierbares Grinsen sorgen. Der schwedische Film "Wie im Himmel" aus dem Jahr 2005 ist so ein Wohlfühl-Hit. Kay Pollaks Werk lockte allein in Schweden zwei Millionen Menschen ins Kino und wurde für den Oscar in der Kategorie "Bester ausländischer Film" nominiert.
Die Regisseurin Henriette Hörnigk hat nun die gleichnamige Bühnenadaption des schwedischen Kassenhits am Neuen Theater (NT) in Halle inszeniert. Mit der Produktion wurde jüngst die neue Spielzeit im Saal des NT eröffnet. Eine gute Entscheidung, denn das Ensemble kann sich hier als besonders spielfreudig, lustvoll und natürlich musikalisch präsentieren. Denn die Musik spielt bei "Wie im Himmel" die Hauptrolle. Sie ist das Lebenselixier von Daniel Daréus (Martin Reik) - und beinahe sein Todesurteil. Auf einem Podest mitten in der Probe lernt das Publikum den Star-Dirigenten kennen. Das Sinfonie-Orchester, das sind in dieser Konstellation wir. Die Zuschauer. Die Musik erklingt vom Band. Ungeduldig lässt Daréus den Einsatz immer und immer wieder wiederholen. Taxiert das Publikum, "seine" Musiker. Mit den Armen durchschneidet er wild die Luft. Dann wiegt er sich wieder sanft. Die schweißnassen Haare kleben am Kopf. Martin Reik gibt den Getriebenen mit souveräner, kalkulierter Wucht. "Der Arzt zeigt mir den Film Das ist die Stelle / Sie sehen ja selbst Jetzt weißt du wo Gott wohnt", klingen aus dem Off die ersten Sätze von Heiner Müllers "Herzkranzgefäß". Daréus' Schlaganfall markiert den Beginn der Geschichte, die schnell von einer One-Man-Show zum Ensemblestück wird.
Denn Daréus beschließt, seinem alten Jetset-Leben den Rücken zu kehren und in sein Heimatdorf zu ziehen. Dort bewirbt er sich als Kantor und sieht sich bald einem Haufen sangeswütiger, größtenteils liebenswerter aber verschrobener Laiensänger gegenüber - dem Kirchenchor. Was dann kommt ist vorhersehbar, aber wunderbar anzuschauen. Denn der weltberühmte Musiker formt aus den Dorfbewohnern einen ausdrucksstarken Klangkörper.
Die Musiker Alexander Suckel, Roberto Volse und August Peker spielen die Filmmusik des Komponisten Stefan Nilsson (Soundtrack für "Pelle der Eroberer") mit viel Verve live. Auch die beiden Ensemblemitglieder Nicoline Schubert (Florence) und Florian Stauch (Erik) schnappen sich regelmäßig Instrumente und verleihen so dem Musik-Drama zusätzlich Glaubwürdigkeit. Auch Martin Reik greift ab und an routiniert in die Tasten. Dass die Musik die Triebfeder ihres Lebens ist, nimmt man den Figuren sowieso ab. Und den Schauspielern, dass sie während der Probenphase ihren eigenen Grundton gefunden haben. Denn jeder Mensch hat seinen eigenen, unverwechselbaren Klang, das ist eine der Kernaussagen des Stücks. Und diesen zu finden und ertönen zu lassen, ist das erklärte Ziel des neuen Chorleiters Daréus.
Wer dahinter mehr als eine Musiker-Weisheit vermutet, liegt goldrichtig. Denn neben den klaren, fast volkstümlichen, skandinavischen Weisen des Soundtracks, die bei der Premiere für viel Szenenapplaus sorgten, ist es vor allem die unverkennbare Botschaft der Inszenierung, die so viel Wärme verströmt. Jede Szene schreit dem Publikum förmlich entgegen: Du bist gut so, wie du bist! Geh deinen Weg, auch wenn er steinig ist!
Schlichte Wahrheiten, die die Regisseurin aber nicht in Watte packt. Denn so heil ist die Welt auf dem schwedischen Land nicht. Für manches Chormitglied scheint der eigene Weg geradezu unbegehbar. Die Sänger haben mit Eifersuchtsdramen, Gewalt in der Familie und puritanischer Frömmelei zu kämpfen. Der Chor wird zur Gruppentherapie.
Die Regisseurin versteht es aber trotz des Regenbogens an persönlichen und sozialen Konflikten, die Geschichte zusammenzuhalten. Ein kleines Meisterstück, wenn man bedenkt, dass sich zudem auch noch eine zarte Romanze zwischen dem in die Jahre gekommenen Dirigenten und einer jungen Sängerin entwickelt. Es ist die Musik, mutig laienhaft und trotzdem kraftvoll und intensiv vorgetragen von den Schauspielern und dem halleschen Gospelchor "Joy'n'us", die aus den einzelnen Fäden ein Gewebe spinnt. Und die für die nötige Gänsehaut sorgt.
Nächste Vorstellung: Freitag, 19.30 Uhr, Neues Theater