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Flying Dream 1 Elbow: Weniger Wucht, noch mehr Gefühl

Elbow sind die Kumpeltypen des britischen Stadionrocks, ihre Popularität auf der Insel ist riesig. Mit dem neunten Studioalbum hat sich die Band eine Sound-Diät verordnet. Brillante Idee.

Von Werner Herpell, dpa 23.11.2021, 06:01
Elbow lassen es ruhig angehen.
Elbow lassen es ruhig angehen. Peter Neill/Polydor/Universal Music/dpa

Berlin - Eigentlich gilt Guy Garvey als besonders freundlicher, umgänglicher Mensch - und umso wütender klang er auf dem vor zwei Jahren erschienenen Album seiner Band Elbow.

Mit „Giants Of All Sizes“, dem achten Studiowerk der Stadionrocker aus Manchester, arbeitete sich der empathische Sänger und Songwriter am Brexit ab. Sein Herz sei „verwundet“, sagte der glühende Pro-Europäer damals. Nun ist in Garveys Musik ein erneuter Stimmungswechsel unüberhörbar.

Dem Zorn über die Politik folgt eine von privater Dankbarkeit durchströmte Ruhe, die sich in den himmlischsten Melodien äußert. Die wuchtige Cinemascope-Produktion früherer Alben, die auf der Insel regelmäßig an die Charts-Spitze gelangten, wurde auf „Flying Dream 1“ durch ein luftiges, fast jazziges Klangbild mit viel Klavier, Kontrabass, Bläsern und Streichern ersetzt.

Überraschender Sound

Typische Elbow-Hymnen kommen diesmal so reduziert daher, dass man sich am besten einen Kopfhörer aufsetzt, um alle Feinheiten dieses ungewohnten, überraschenden Sounds zu genießen. Und Garvey singt - etwa im Titelstück oder in „Six Words“, in „Come On, Blue“ oder dem fabelhaften „What Am I Without You“, einer Ode an seine Familie - so anrührend zart wie nie zuvor. Die ehrenvollen, aber auch etwas lästigen Peter-Gabriel-Vergleiche hat er längst hinter sich gelassen.

„The Seldom Seen Kid“, die erste Single-Veröffentlichung in diesem Jahr, trug den Namen des Albums, das Elbow 2008 einen begehrten Mercury Prize, Dreifach-Platin und den ganz großen Durchbruch einbrachte. Kein Zufall - der Titel bezog sich beide Male auf einen 2006 gestorbenen engen Freund der Band, den Musiker Bryan Glancy. Ein schönerer Nachruf als dieses ätherische Song-Juwel, dessen Video in einem alten Theater in Brighton gedreht wurde, ist kaum denkbar.

Er liebe schon lange stille, komplexe Platten, betonte Garvey (47) zur Einstufung von „Flying Dream 1“ in der 30-jährigen Band-Historie. Und er legte die Messlatte sehr hoch, indem er die legendären letzten Werke von Talk Talk, die schottischen Melancholiker The Blue Nile, Kate Bush oder Van Morrisons „Astral Weeks“ als Vorbilder nannte.

Wie auch immer: Sein Versuch, sich „auf die sanfte Seite des Elbow-Sounds zu fokussieren“, hat nun das brillanteste Album dieser verdienten Britrock-Truppe hervorgezaubert. In der Ruhe liegt viel Kraft.