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Ostrock-Star Der Mann mit dem Aufruhr in den Augen

Mit seiner Band Pankow war Andrè Herzberg zugleich unangepasst und erfolgreich. Die Wende warf den Sänger aus der Bahn, er rutschte in Hartz4 und Depressionen ab.

Von Steffen Könau 17.10.2021, 11:11

Halle - Aufruhr in den Augen

UNTERZEILE

In seiner Autobiografie beschreibt der Sänger der Band Pankow sein Leben im Oberhaus der DDR-Kultur. Zum Bandjubiläum sind die alten Kollegen gerade wieder unterwegs, auch in Halle wird gespielt.

GRUNDTEXT

Von Steffen Könau

Halle/MZ - Der kleine Junge hat einen Traum, der so weit weg ist vom Leben im Ostberlin der später 60er Jahre, dass André Herzberg sich nie richtig traut, ihn zu träumen. Dass es ihn auf die Bühne zieht, ans Mikrofon, vor Menschen, das weiß der Sohn einer gläubigen kommunistischen Familie mit jüdischen Wurzeln schon. Dass er selbst aber einer sein könnte, den Fans einen Star nennen, das ist ein Gedanke, den der Grübler mit der Lockenmähne gar nicht zulässt.

Singen im Kinderzimmer

„Wenn du Schlagersänger wirst, dann lass ich mich von dir scheiden“, haben Mutter und Schwester ihm scherzhaft immer wieder gesagt. André singt nur allein im Kinderzimmer, zur Musik aus dem alten braunen Plattenspieler, Lieder aus der „Dreigroschenoper“, Pete Seeger und Ernst Busch, was eben da ist. Im Radio läuft irgendwann Beatmusik, es klingt ungeheuerlich. „So ganz anders als alles, was ich seit meiner Kindheit gehört hatte“, schreibt Herzberg in seiner Autobiografie, die „Keine Stars“ heißt und das Leben einer ganzen Generation beschreibt, die der DDR an Schlagzeug, Bass und E-Gitarren verloren ging. André Herzberg, aus bestem SED-Elternhaus, wagt es einmal im Ferienlager, vor anderen zu singen. Dann soll er Geige lernen. Es quietscht unerträglich. Es klingt nicht wie Rockmusik. André Herzberg lässt es sein.

Ein Sänger aus der Baubude

Dass der heute 65-Jährige in den späten Jahren der DDR doch noch wird, was er sich nicht zu werden traut, verdankt sich weniger Willen und Hartnäckigkeit als Geduld und einer schon in Kindertagen antrainierten Verweigerungshaltung. Herzberg, jüngstes von drei Geschwistern und doch Einzelkind, weil Bruder und Schwester schon ausgezogen sind, als er in seine Fragejahre kommt, hat keine Chance, er hat keine Stimme, er kann kein Instrument und er hält sich selbst nicht für talentiert. Aber „mein Herz hatte entschieden“, sagt er heute. Nicht für Meeresforscher, nicht für Kriminalkommissar oder Traktorist.

Herzberg lernt Bauarbeiter mit Abitur. Er schleppt sich zur Lehrstelle und lebt, wenn er abends auf Konzerten im Saal steht und denen zuschaut, die es geschafft haben. Freunde laden ihn ein, in ihrer Band mitzuspielen. Es ist schrecklich. Nichts mit eigenen deutschen Liedern. Nur nachgespielte Hits. Dann die Armee, ein Suizidversuch aus Verzweiflung. Die Ausbürgerung von Wolf Biermann, den Herzberg verehrt. Und die Rettung: Obwohl der HNO-Arzt abrät, darf André Herzberg Musik studieren.

Der Rest ist deutsche Rockgeschichte, der Rest sind Hits wie „Inge Pawelczik“ oder „Wetten Du willst“, sind aber auch die beiden Rockopern „Paule Panke“ und „Hans im Glück“, für die Herzbergs Bruder Wolfgang unter dem Namen Frauke Klauke die Texte schreibt. Es geht bei Pankow nicht wie sonst in der DDR-Rockmusik um singende Schwäne und Zeit, die nie vergeht. Sondern um den Alltag ganz gewöhnlicher junger Menschen. André Herzberg verkleidet sich auf der Bühne in sich selbst, er singt nicht nur, er lebt seine Lieder und leidet an ihnen. „Paule Panke“ darf aufgeführt werden, für eine Platte aber sei das Stück zu negativ. Das Fernsehen zeichnet auf, gesendet wird nicht. Auch ein Filmprojekt von Heiner Carow, der „Paule“ ins Kino bringen will, wird abgelehnt.

Mit Hütchen und mit Pankow: Andrè Herzberg auf der Bühne.
Mit Hütchen und mit Pankow: Andrè Herzberg auf der Bühne.
Foto: Steffen Könau

Mit dem Gitarristen Jürgen Ehle, Bassist Jäcki Reznicek und Drummer Frank Hille hat André Herzberg die Familie gefunden, die ihn auf der Bühne trägt und alle seine Selbstzweifel wegspült. Herzberg ist in diesen großen Tagen der Alben „Kille Kille“, „Keine Stars“ und „Aufruhr in den Augen“ nach außen hin, was er sich selbst nicht zutraut: Ein großer Star der kleinen DDR, dem Tausende Fans überall im Land zujubeln, der sich aber zugleich die eigene Rolle nicht abnimmt.

Sex und Alkohol

Der Sänger tut sich schwer mit der ewigen Runde durch die ewig gleichen Hallen und dem immer gleichen Spaß mit Sex und Alkohol. Noch schwerer aber wiegen für ihn die Kompromisse, die seine Band schließen muss, um nicht verboten zu werden. Das Gefecht mit den Kulturaufsehern findet im Nebel statt, die Bürokratie ist undurchschaubar, sie nimmt mal und mal gibt sie und nie wird erklärt, warum das eine erlaubt ist und das andere gerade nicht.

Bei „Rock für den Frieden“ provoziert Herzberg die Funktionäre im Publikum mit einem Auftritt in Wehrmachtsuniform - ein Jude, der eine Rede hält, die an den Parallelen zwischen Nazi-Regime und DDR-Kommandowirtschaft so wenig Zweifel lässt, dass das DDR-Fernsehen seine Live-Übertragung kurzerhand abbricht.

Andrè Herzberg und Jürgen Ehle in den 80er Jahren  auf der Bühne
Andrè Herzberg und Jürgen Ehle in den 80er Jahren auf der Bühne
Foto: Steffen Könau

„Guck nicht so komisch, ich bin doch kein Star“, singt André Herzberg nuschelnd, als seine Band mit ihrer Mischung aus Stones-Rock und frechen Texten auf dem Höhepunkt des Erfolges angekommen ist. Das Quartett aus Berlin darf sich nun bei Konzerten im sozialistischen Ausland bewähren, anschließend sogar in den Westen reisen.

Tiefschlag vom Kollegen

Objekt5 in Halle

Schlagzeuger Frank Hille bleibt dort. Ein Tiefschlag, der die drei Übriggebliebenen in ihrer Existenz bedroht. Schließlich war schon Veronika Fischer, aus deren Band Pankow entstand, auf dieselbe Weise abtrünnig geworden. Herzberg verdankt ihrer Flucht seinen Platz am Mikrofon, denn jeder Abgang aus der DDR, beschreibt er, habe ein Umbesetzungskarussell in Gang gesetzt.

Nun aber passiert: Nichts. Pankow darf weiterspielen, mit einem neuen Mann am Schlagzeug. Doch statt Dankbarkeit fühlt André Herzberg sich einmal mehr in den Händen einer Macht, die Gnade zeigt oder sie verweigert, ohne ihre Gründe zu erläutern.

„Die Bestimmer“ nennt er die Herren seines Schicksals für sich, und als der Herbst 1989 kommt, ist der Mittdreißiger einer der ersten etablierten DDR-Musiker, der Kolleginnen und Kollegen anruft, um eine gemeinsame Wortmeldung in Richtung Parteiführung zu formulieren. Mit dem Mauerfall kommt die Freiheit, Herzberg steigt bei Pankow aus und wird im Nachhinein noch enttäuscht, als sich der Name von Gitarrist Ehle in seiner Stasiakte findet. Inzwischen spielen beide wieder miteinander. Im November sind Pankow auf Tour, gefeiert wird das 40-jährige Bandjubiläum.

›› Konzert mit Pankow am 11. November um 20 Uhr im Objekt 5 in Halle.

Ein leidenschaftlicher Sänger mit bewegter Geschichte: Andrè Herzberg
Ein leidenschaftlicher Sänger mit bewegter Geschichte: Andrè Herzberg
Foto: Steffen Könau