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Mehr, mehr, mehr ... Mehr, mehr, mehr ...: Billy Idol begeistert auf der Freilichbühne auf der Peßnitz in Halle

Von Mathias Schulze 15.07.2018, 08:51
Der britische Superstar gastiert in Halle und lässt die Erinnerungen an die 1980er-Jahre wieder aufleben.
Der britische Superstar gastiert in Halle und lässt die Erinnerungen an die 1980er-Jahre wieder aufleben. Silvio Kison

Halle (Saale) - „Thank you for making my life!“ William Michael Albert Broad, so der bürgerliche Name Billy Idols, signalisiert mit seinen Schlussworten, dass er die besondere Note dieses Abends auf der Freilichtbühne in Halle spürt: „Danke, dass ihr mir ein solches Leben ermöglicht habt! Danke an Steve Stevens, danke an euch!“ 

Die mehr als 7.500 Besucher werden Zeuge eines Open-Air-Konzertes, dessen Applaus nicht nur auf einzelne Songs und diversen Gitarrensoli bezogen ist. Vielmehr wird eine Lebensleistung, ein Berappeln, Durchhalten und Kämpfen begeistert goutiert.

Bühne auf der Peißnitz besticht ohne Schnickschnack

Man feiert sich und die Erinnerungen an durchtanzte Diskonächte, man feiert sich und die Erinnerung daran, wie man damals glaubte, mit kurzen, heftigen Blicken die eigene Welt aus den Angeln heben zu können. Willkommen in einer Zeitreise! Als der Song „Rebel Yell“ mit seinem unverwüstlichen Einpeitscher-Refrain „More, more, more“ 1983 das Licht das Welt erblickte, war für viele Menschen im Osten das Ideal einer besseren, sozialistischen Gesellschaft schon durch die existierende Wirklichkeit blamiert.

Frei übersetzt heißt es im Song: „Was dich frei macht / Muss ich von dir hören.“ Mehr, mehr, mehr. Doch der Reihe nach. Kurz vor 21 Uhr sind sie alle da, Jung und Alt, Männlein und Weiblein. Die Wiese ist voller Insignien, beflockte T-Shirt allerorten: AC/DC, Die Toten Hosen, Metallica, Ramones, Iron Maiden, The Doors, Slipknot. Sonnenbrillen und Goldkettchen, Irokesenfrisuren und Deutschland-Trikots. Hier die Lederkutten, immer bereit rebellisch über die Landstraßen zu jagen.

Dort die Rastazöpfe und der heimliche Revolutionstraum. Metal-Grüße und rhythmisches Klatschen, „Ho, ho, ho“-Chöre und meditatives Kopfnicken, wildes Tanzen und einvernehmliches Schunkeln. Selten sieht man auf Konzerten so vielfältige Eindrücke. Der 62-jährige Billy Idol, im Marketingmodus spricht man immer noch vom schockblonden Rockrebell, scheint der kleinste gemeinsame Nenner verschiedenster Anschauungen zu sein.

Die Bühne besticht ohne Schnickschnack, alte Schule: Keine Videoleinwand, kein Feuerwerk, keine Lasershow, im Hintergrund stehen riesige Ventilatoren. Frische Luft ist heute immer noch so nötig wie damals, als der englische Philosophiestudent Billy Idol den Punk für sich entdeckte. Eröffnet wird mit dem Song „Shock to the System“, dort heißt es, man könne dieses Land rocken. Yeah, Baby, glaub es! Es vergehen keine 20 Sekunden und schon ist sie da, diese über die Jahrzehnte legendär gewordene Billy-Faust.

Billy Idol in Halle: „Wollt ihr schreien? Schreien? Schreien?“

Idol ist aber klug genug, um dieses Symbol eines dauerbereiten Widerstandswillen ab und an ironisch zu brechen. So leitet er den Song „Scream“ mit einer feinjustierten und witzigen Massenanleitung ein, scheinbar ewig wiederholend fragt er mit Fingerzeigen ins Publikum: „Wollt ihr schreien? Schreien? Schreien?“ Auch reißt er sich nicht eruptiv die schwarze Lederjacke mitsamt des Hemdes vom Leibe.

Nein, Billy Idol kleidet sich heute gemächlich auf offener Bühne um, mit dem Rücken zu den Fans. Erst dann wird die offene Brust und der überaus vorzeigbare Waschbrettbauch gezeigt. Charmant. Textsicher begleitet das Publikum die Klassiker: „White Wedding“, „Cradle of Love“, „Eyes without a Face“, „Flesh For Fantasy“, „Dancing with myself“. Gitarrist Steve Stevens, die Papageienfrisur sitzt herrlich sturmfest, tut immer noch das, wofür er weltweit bewundert wird.

An und um der Freilichtbühne, wird gesessen, getanzt und gesungen

Er entlockt seinem Instrument, mal mit den lackierten Fingernägeln, mal mit den Zähnen, sphärische Klänge: Flamenco, Blues, Rock und klassische Musik, die im Intro von Led Zeppelins „Stairway to heaven“ endet. Phänomenal. So wird es auch mal sanft, fast schon balladesk und poetisch. Da schau her, Gitarrespielen kann ein theatralischer Vorgang - im besten Sinne des Wortes - sein. Die Blätter der Bäume, die eben noch im Rockgewitter wackelten, scheinen sich nun umarmend über eine andächtig lauschende Fangemeinde zu legen. Wer glaubt, ein Billy Idol-Konzert hätte nur Motorengeheul und schrammeligen Punkrock, der tief in den Bauch geht, zu bieten, irrt.

Es gibt Songs aus dem aktuellen Album „Kings & Queens Of The Underground“ (2014), Trip Hop-Beats, Stadionpop, radiotaugliche Hardrocker und Weisheiten, die man auch in Superheldenfilmen hört: „Es gibt nichts zu fürchten / Außer die Furcht selbst.“ Natürlich schwingt bei allem auch das durchgestandene Rock'n'Roller-Leben mit, die wasserstoffgetränkten Haare hielten bekanntlich bis heute jeder Droge stand.

So ist es folgerichtig, dass sich Billy Idol für die Ermöglichung eines solchen Lebens bei den Fans und auch bei Steve Stevens bedankt. So ist es folgerichtig, dass sich die Weggefährten im Publikum an die eigenen dunklen Stunden erinnern. Mit der Billy-Faust in der Tasche lässt sich so manches Fetzen Leben erkämpfen. Yeah! Draußen auf den Wiesen, an und um der Freilichtbühne, wird gesessen, getanzt und gesungen. More, More, More. Mehr, mehr, mehr. Schön war es.  (mz)