Maybrit Illner zur Flüchtlingskrise Maybrit Illner zur Flüchtlingskrise: Wenn die Gastfreundschaft Ängsten und Vorurteilen weicht

Frankfurt - Anne Will war schneller, obwohl sie einen Tag weniger Zeit hatte: Ihre Sendung behandelte den VW-Skandal, der erwartungsgemäß nicht bei VW geblieben ist. Jedenfalls spricht der massenhafte Betrug durch deutsche Autohersteller von ihrer Verachtung für ihre Kundschaft. Das wäre das Thema des Tages gewesen. Andererseits: Auch in den kommenden Wochen dürfte es noch nicht zu spät sein für Maybrit Illner, sich den größten Betrugsfall der deutschen Wirtschaft seit Jahren vorzunehmen.
So ging es im ZDF erneut um die Einwanderer: "Flüchtlingsrepublik Deutschland – reichen Geld und guter Wille?" lautete das Motto, subkutan suggerierend, dass dies eine rhetorische Frage sei. Aber die wirkliche Frage ist doch: Wieviel Geld? Die Bundesländer hatten ja das Doppelte der von der Bundesregierung beschlossenen drei Milliarden verlangt. Nun haben sie sich mit weniger zufrieden gegeben, wie Malu Dreyer, Landeschefin in Rheinland-Pfalz, bestätigte.
Seite an Seite mit Innenminister Thomas de Maizière lobte sie den wenige Stunden zuvor gefundenen Kompromiss, der doch bloß eine vorübergehende Lösung sein kann, wie Boris Palmer klar machte, Grüner und Oberbürgermeister Tübingens. Denn schon bald geht es um Wohnungsbau, da genügen die zugesagten 500 Millionen nicht, will man nicht Tausende monate- oder jahrelang in Zelten hausen lassen. 800.000 Ankömmlinge in diesem Jahr werde man noch schaffen, da waren sich die Politiker in der Runde einig, aber nicht mehr im kommenden Jahr. Damit war der Ton gesetzt, und der hieß: Abgrenzung.
Die braune Saat geht auf
Dazu werden neue Argumente bemüht. Der Innenminister, der sich offenbar veranlasst sieht, in der Talkshow aufzutreten, um sein Image zu verbessern, spricht ebenso wie sein Parteifreund Stanislaw Tillich zuvor im heute journal davon, dass ja „30 Prozent keine Syrer“ seien oder man das nicht wisse. Was soll das? Macht es einen Unterschied, wenn es Iraker oder Kurden sind? Und immer häufiger werden jetzt diejenigen, die – angeblich – kein Anrecht auf Asyl haben, zugleich mit den anderen, den „guten“ Flüchtlingen erwähnt und so suggeriert, die aus – angeblich – wirtschaftlichen Gründen Kommenden seien eine ebenso große Menge, de Maizière sagte „fast die Hälfte“ – ohne das zu belegen. So kann man auch Stimmung machen.
Der Autor Armen Avanessian hatte neulich in einem Zeit-Essay von den „Nadelstreifen-Rassisten“ geschrieben und formuliert: „Der sich im Umgang mit der Flüchtlingsfrage manifestierende Rassismus speist sich aus derselben Quelle wie der außen- oder innenpolitische Sparfanatismus.“ Wie genau das passt, machte am Dienstag Abend in der „Anstalt“ der Kabarettist Claus von Wagner deutlich: Deutschland habe im ersten Halbjahr 21 Milliarden Überschuss verbuchen können: „Und der Schäuble suggeriert den Einheimischen, dass sie eventuell den Gürtel enger schnallen müssten, wegen der Flüchtlinge... Als die NPD das gehört hat, hat sie aus lauter Dankbarkeit eine Kerze ins Fenster – geworfen.“ Wer sich die Kommentare zu Illners Talkshow durchliest, dem wird erstmal schlecht ob der Unbedarftheit und der Ressentiments, und dann klar: Diese Saat ist aufgegangen.
Da hatte Günter Burkhardt , Geschäftsführer und einer der Mitbegründer von PRO ASYL, einen schweren Stand. Zunächst musste er sich – was für ein böser Ausrutscher – von Maybrit Illner als „Lobbyist“ anreden lassen. Dann wurde sein Argument, man könne die Lage der Vertriebenen verbessern, wenn man sie nicht in Lager stecke, sondern zu ihren Bekannten und Verwandten lasse, die hier bereits lebten, als nicht relevant von de Maizière und Palmer abgetan, weil das auf zu wenige zuträfe (Palmer), und weil man sie schneller erfassen und die Verfahren einleiten könne, wenn sie an einem Ort seien (de Maizière).
Muslime als „Integrationslotsen“
Der Pro-Asyl-Chef erinnerte an das tote syrische Kind am Strand, das Angehörige in Deutschland hatte, um sein Argument zu stärken. Auch wenn er recht damit hatte, dass etwas das Lagerleben ein Grund für Radikalisierung sein könne und Kontakte zwischen Einheimischen und Zugewanderten Ressentiments abbaue: Er ritt leider zu sehr auf diesem einen Punkt herum. Selbstverständlich pochte er darauf, dass Asyl keine Obergrenze habe, wie Kanzlerin Merkel jüngst formuliert hatte. Damit entlockte immerhin dem Minister den bemerkenswerten Satz: „Ihr Weg führt zu uferlosem Zuzug in die EU.“ Das ebenso falsche wie penetrant benutzte Argument, es wollten ja alle kommen, ist offenbar nicht auszurotten.
Es war an Aiman Mazyek, dem Vorsitzenden des Zentralrats der Muslime in Deutschland, darauf hinzuweisen, dass es sich bei dem „Strom“ um Individuen handele. Man dürfe auch die enorme Hilfsbereitschaft nicht zerreden, damit im Lande nicht wieder die Angstbereitschaft wachse, schließlich habe man beim großen Hochwasser ja auch mit zehn Milliarden Euro geholfen. Sein Angebot, dass Muslime als „Integrationslotsen“ dienen könnten, sei bislang „ohne Rückmeldung“ geblieben.
Warum, ließ die Debatte bald ahnen. Der Versuch von Politikern wie Boris Palmer, darauf hinzuweisen, dass da Menschen kommen, die womöglich andere Vorstellungen vom Zusammenleben, von Religion und Gesellschaft haben, ist vielleicht verständlich aus der Sicht eines Stadtoberhaupts, aber auch Wasser auf die Mühlen von Rechtsextremisten (wie die Kommentare zur Sendung belegen), weil die den Muslimen gerne Gott weiß was andichten.
Ein Einspieler nannte die Zahl von 7900 Salafisten in Deutschland. Wehrte sich Aiman Mazyek noch gegen „Pauschalisierungen“ und betonte, man habe ein „existentielles Interesse“, dass Extremisten sich in der muslimischen Gemeinde nicht breit machten, so erklärte der Innenminister verhindern zu wollen, dass die nun als Bedrohung ausgemachten jungen Zuwanderer ans Nahost „nicht ihre männlichen Testosteron-Dinge sonstwo auslassen...“ Wie hatte Claus von Wagner am Dienstag in der Anstalt noch gelästert: „Ein Gefühl wie in diesen Momenten, in denen einem klar wird, dass de Maizière wieder dabei ist, seinen Mund zu öffnen“.
Maybrit Illner, vom Donnerstag, 24. September, 22.30 Uhr. Im Netz: ZDF Mediathek.