Milliarden vom Bund Milliarden vom Bund: Bund und Länder einig über Flüchtlingshilfe

Berlin - Oft ist dieser Tage angesichts des Flüchtlingsansturms nach Europa von historischen Tagen für Deutschland die Rede, und schon dem Format nach wurde der Krisengipfel dem auch gerecht: Das gesamte Bundeskabinett verhandelte mit allen 16 Ministerpräsidenten der Ländern über sechseinhalb Stunden lang, um den überforderten Kommunen zu helfen und die Lage insgesamt in den Griff zu bekommen.
Dieser Gipfel war seit Monaten gefordert, seit Wochen geplant und dann tagelang gespannt erwartet worden. Und doch seufzte Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Rainer Haseloff (CDU) stolz, als nach zahlreichen Gesprächen in kleineren Runden am späten Abend auch die große Verhandlungsrunde einen Gesamtkompromiss beschlossen hatte: „Dieses Ergebnis war heute Morgen um 9 noch nicht denkbar.“
Grunderneuerte Kostenverteilung
Tatsächlich ordnet die Einigung die Kostenverteilung für Asylbewerber in Deutschland grundsätzlich neu. Während bislang die Länder und Kommunen die meisten Kosten für die Unterbringung und Versorgung von Flüchtlingen allein tragen, beteiligt sich von nun an der Bund dauerhaft. Dabei wird sogar das System der Bundeshilfen für die Länder von jährlichen Nothilfen, deren Erhöhung der Bund angesichts der überlasteten Kommunen zuletzt immer wieder versprechen musste, auf eine Kopfpauschale pro Flüchtling umgestellt: Von 2016 an wird der Bund monatlich 670 Euro pro Flüchtling an die Länder zahlen. Geht man erneut von rund 800.000 ankommenden Flüchtlingen im Jahr aus, übersteigt die neue Summe die bisher versprochenen Hilfen von drei Milliarde Euro weit. Für das laufende Jahr stelle der Bund zudem eine weitere Milliarde Euro zur Verfügung.
Das neue, „atmende System“, so erklärte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), entlaste der Bund die Länder gleich von zwei Risiken: Er zahlt umso mehr, je mehr Asylsuchende nach Deutschland kommen und je länger die Bearbeitung ihrer Asylanträge dauert. Für beides trage der Bund Verantwortung - werde aber laut Merkel auch dafür sorgen, dass die sowohl die Zahlen der Neuankömmlinge in Deutschland sinke, als auch die Bearbeitungsdauer im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge.
Dessen neuer Krisenmanager Frank-Jürgen Weise, der zugleich Co-Chef der Bundesagentur für Arbeit ist, stellte der Runde seine Pläne zur Verzahnung von Erstaufnahme der Flüchtlinge und ihrer Erfassung, Vermittlung und Befähigung für den deutschen Arbeitsmarkt vor – und verbreitete dabei so viel Optimismus, dass die Runde applaudierte, wie Teilnehmer berichten.
Die Zahl der Aufzunehmenden soll derweil gesenkt werden, indem Albanien, Kosovo und Montenegro der Liste der „sicheren Herkunftsländer“ hinzugefügt werden, was verkürzte Asylverfahren bei Antragsstellern aus diesen Staaten ermöglicht. Merkel zitierte jedoch ausdrücklich und auf Wunsch des grünen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann aus Baden-Württemberg dessen Einschränkung, dass die Grünen sich darin noch nicht einig seien. Auch Bodo Ramelow, linker Regierungschef aus Thüringen, hat noch Vorbehalte dagegen.
Lob für Extra-Hilfen
Viel Lob erntete der Bund dagegen, etwa von Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD), für weitere Extra-Hilfen, die künftig fließen sollen: eine halbe Milliarde Euro jährlich für den sozialen Wohnungsbau, 350 Millionen Euro für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge, für die bislang die Länder allein zuständig sind. Zudem werde die Milliarde, die nach Auslaufen des Betreuungsgeldes im Bundeshaushalt frei werde, nach einem Schlüssel an die Länder aufgeteilt. Woidke versprach, in Brandenburg fließe das Geld in Bildungseinrichtungen, die ja auch zentral für die Integration der vielen Neubürger sei. Merkel wies aber, ohne Bayern direkt zu nennen, darauf hin, dass die Länder auch ein eigenes Betreuungsgeld auszahlen können.
Ebenfalls Ländersache sei es künftig, Flüchtlingen eine eigene Krankenkassenkarte zu geben, damit sie nicht jeden Gang zum Arzt erst beim Amt beantragen müssten. Der Bund ermögliche den Ländern solche Regelungen aber, wobei die Leistungen gegenüber denen deutscher Versicherter eingeschränkt seien.
Durch ein beschleunigtes Verfahren in Kabinett, Bundestag und Bundesrat soll das Gesetzespaket bereits vom 1. November dieses Jahres an gelten.
Ob durch die Zusatzgaben der ausgeglichene Haushalt gefährdet sei, könne man dagegen noch nicht sagen, weil zu viele Faktoren noch offen seien – von der Flüchtlingszahl bis zur Wirtschaftsentwicklung.
Fakt sei aber, dass man den „vielen, die sich schon damit abgefunden hatten, dass eine solche Einigung gar nicht möglich ist“, das Gegenteil bewiesen habe, sagte Haseloff zum Schluss – womit er es dieses Mal war, der die optimistische Note für die nächsten Tage vorgab.
