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Max Liebermann Max Liebermann: Volksentscheid gegen Jesus

Von CHRISTIAN EGER 20.12.2009, 17:58

BERLIN/MZ. - Aber Wilhelm zog es vor, einen Bogen um die Schau zu machen, die den Versuch wagte, an die Weltausstellungen in London und Paris anzuknüpfen. Um Weltniveau ging es ja immer in den Gründerjahren. Aber Weltklasse hatte der Kaiser selbst genug. Vielleicht wollte der Hohenzoller dem bayerischen Selbstprofilierungseifer nicht auch noch durch die eigene Anwesenheit zuarbeiten. Kein Kaiser, weniger Presse. Sollte das Wilhelms Plan gewesen sein, ist er gründlich fehlgeschlagen.

Einsfünfzig mal einsdreißig

Denn die Münchner Kunstschau von 1879 sollte Epoche machen - und einen Skandal, wie man ihn lange davor und danach nicht mehr erlebt hatte - bis zur "Entartete Kunst"-Kampagne der Nazis, von der der Münchner Skandal einen Vorschein lieferte. Dabei war es nicht das als "Sensationsbild" gehandelte, von Anton von Werner hergestellte Großgemälde "Die Proklamation des Deutschen Kaiserreiches", das die Aufmerksamkeit fesselte, jenes Bild also, das die Reichsgründung 1871 im Spiegelsaal des Schlosses Versailles zeigt.

Es war ein eher beiläufig präsentiertes Gemälde des erst 32-jährigen Malers Max Liebermann (1847-1935), das das Kraftzentrum der Ausstellung bilden sollte: "Der zwölfjährige Jesus im Tempel", 1879. Schwere Farben, dicker Rahmen: Ein Meter fünfzig mal einsdreißig groß ist der Auslöser eines Kunstskandals, der nachwirken sollte bis zum Tod Liebermanns.

Was sich damals ereignete, ist in Berlin unter dem Titel "Der Jesus-Skandal" in einer kleinen, aber sehenswerten Schau in der als Museum hergerichteten Villa Liebermanns am Wannsee zu bestaunen, die sich der Maler und Präsident der Akademie der Künste 1909 als Sommerhaus errichten ließ. Die über drei Räume verteilte Ausstellung zeigt das "Skandalbild" erstmals gemeinsam mit allen bildnerischen Vorarbeiten und Dokumenten, die sich über die Darstellung des Kindes Jesus als einem eindeutig jüdischen Knaben ereiferten: kraftvoll, barfuß, schläfenlockig, ein Kind von der Straße - und eben nicht aus einem nordisch-sentimentalen Wolkenkuckucksheim.

Dort aber wollten die Kritiker, die wirkmächtig als antisemitische Hetzer auftraten, den zwölfjährigen Jesus verortet sehen. Max Liebermann schließlich ergab sich dem publizistischen und gesellschaftlichen Mob: Er "arisierte" seinen Jesus, in dem er diesen übermalte und in einen blonden Kirchenkitsch-Christus verwandelte. Der Druck, der sich von München aus bis Berlin und Hamburg entfaltete, war ja tatsächlich enorm, zumal für einen deutsch-jüdischen Maler am Beginn seiner Laufbahn.

Die Presse schäumte vor Hass. Christliches Kunstblatt: "Ein schielender Judenknabe im schmutzigen Kittel mit rothem Haar und mit Sommersprossen, verhandelt, ja handelt mit übelriechenden gemeinen Schacherjuden in schmutzigen Säcken und Gebetsmänteln". Die Augsburger Allgemeine Zeitung sah "den häßlichsten naseweisen Juden-Jungen, den man sich denken kann". Der Bayerische Landbote einen "ungewaschenen Buben", einen "ordinären Schacherzug im Gesichte" mit "krummen geldgierigen Fingern". Die antisemitischen Stereotypen kamen voll zum Zuge.

Dürer, Rembrandt, Menzel

Die Schau zeigt nicht allein das von Liebermann korrigierte, heute der Hamburger Kunsthalle gehörende Gemälde, das bislang noch nie auf eine Reise ging. Versammelt werden auch Arbeiten von Künstlern, in deren Tradition Liebermann mit seiner Arbeit steht: Darstellungen des zwölfjährigen Jesus unter anderen von Dürer, Rembrandt und Menzel, letzterer zeigt 1851 den Knaben ebenfalls nicht als einen Bilderbuch-Christus, sondern als ein rothaariges, ganz freies Kind.

In einem Brief des Jahres 1911 blickte Liebermann zurück auf den Münchner Skandal, und wie dieser ihn in den Kollegen-Kreisen auch populär gemacht hatte. Der Maler und Bildhauer Edgar Degas etwa habe seinen Jesus in den höchsten Tönen gelobt und "durch die Zeichnung wäre er angeregt worden, überall nach meinen Arbeiten zu spähn!". Einige dieser Arbeiten sind am Wannsee zu sehen. Ein Bild mit religiösem Inhalt aber hat Max Liebermann nach dem Jesus-Skandal nicht mehr gemalt.

Bis 1. März 2010: Berlin, Colomierstraße 3, außer Die 11-17 Uhr. Am 24. und 31.12. geschlossen. Ein Katalog liegt vor.