Marius Müller-Westernhagen Marius Müller-Westernhagen: Triumph des dünnen Herings als gesetzter Herr
HALLE/MZ. - Jetzt setzt sich Marius Müller-Westernhagenans Klavier.
Die Bühne ist leer, er atmet ein bisschenschwer und die ersten Reihen auf der Festwiesein Leipzig sehen an diesem milden Sommerabenddes Jahres 1990, wie Westernhagen schwitzt."Wenn ihr wüsstet", sagt der Sänger, "wases mir bedeutet, dieses Lied hier zu singen."Dann kommt "Freiheit", ein Stück, das er geschriebenhat, als seine Karriere vorüber war. "Freiheit,Freiheit, ist das einzige, was zählt" tröstetesich Westernhagen, die große Gänsehaut-Stimmeganz nah am Mikrofon.
In Wirklichkeit ist ihr Besitzer vielkleiner, als er auf Fotos aussieht. MariusMüller-Westernhagen spricht leise und miteinem knarzigen Zischen auf den Lippen, daskeinen Widerspruch duldet. So redet einer,der immer über sich selbst bestimmt hat, vonden ersten Stufen auf der Leiter nach obenbis zum tiefen Sturz in den Karrierekeller.So redet einer, der sich an den eigenen Haarenaus dem Rausch des Ruhms gezogen hat.
Nach dem Filmerfolg "Theo gegen den Rest derWelt" war seine Platte "Mit Pfefferminz binich Dein Prinz" in die Charts gestürmt, dieHallen waren voll, die Menschen begeistertvon diesem Typen, der sich selbst als "dünnerHering" hänselte und "Dicke" beleidigte, vonNutten sang und einen Selbstmörder aufforderte"Spring doch schon". In den Augen seiner Fanswaren der ewige Verlierer Theo Grombach, dener im Film dargestellt hatte, und Westernhagen,Schauspielersohn aus Düsseldorf, zu einerPerson geworden.
Dabei hatte Westernhagen nie verlieren wollen.Seine künstlerische Beschäftigung mit demLeben der einfachen Leute, aus der Stückewie "Geiler is' schon" entsprangen, warenRollenspiel, nie gelebte Erfahrung. Die derStraßenköter unter den Deutschrockern allerdingsso glaubwürdig verkörperte, dass ein Imagewandelunmöglich schien. Westernhagen musste Theosein oder er war gar nicht.
Aus dem tiefen Tal der ruinierten Träume tauchteer im richtigen Moment aber doch wieder auf.Kurz vor dem Mauerfall veröffentlichte Westernhagen"Halleluja": Inzwischen mit dem FotomodelRomney Williams verheiratet, gab er den gereiftenEdelrocker im Armani-Anzug. Hochglanzrockund griffige Balladen machten aus dem Hinterhof-Kämpfereinen Star für jedermann. Die Fans in Ostdeutschland,die sich dem alten Westernhagen mit seinerSauf- und Stolper-Romantik immer besondersgemocht hatten, kauften ihn mit ihrem Begrüßungsgeldendgültig auf den deutschen Pop-Thron.
Von hier oben hatte Westernhagen immer geträumt.Hier hatte er hingewollt, seit er 1974 quietschend"Wir waren noch Kinder" gesungen hatte. Nunwar er da, nur er. Westernhagen, wie er sichjetzt kurz nannte, füllte Stadien in Minuten.Er nannte eine Platte "JaJa", weil "das aufEnglisch auch klingt". Die Welt war sein Feld.
Sprach er über sich selbst, klangen seineSätze anders als die Promotionsprüche derDeutschrock-Kollegen. "Beschissen habe ichsie nie", sagt er über seine Fans, "und ichwar nie zynisch." Marius Müller-Westernhagenspielte nur eine Rolle, und er spielte siegut. Wurde "Künstler des Jahres" und "Produzentdes Jahres", und trotz seiner Millionen liebtenihn seine Fans als den alten Kumpel, der unterdem Designerjackett immer noch ein bisschenTheo ist.
Nur glücklich war er nicht, auf der ewigenJagd nach schneller, höher und weiter. Alldas Tingeln, das Verkaufen, das mochte ernicht. Vielleicht war der Hunger auch einfachnicht mehr groß genug. Mit dem Album "Affentheater"trat Westernhagen von der Bühne ab, für immer,sagte er. Zwei Jahre kam tatsächlich keinneues Album, fast fünf Jahre sogar hielt seinVersprechen, nicht mehr aufzutreten.
Dann aber war Westernhagen zurück. Nicht soerfolgreich wie auf dem Höhepunkt seines Ruhms.Ohne Hits. Lange nicht so umsatzstark wiesein Alt-Rivale Herbert Grönemeyer. Aber neuerdings,sagt Marius Müller-Westernhagen, inzwischenein gesetzter, aber schlanker Herr, sei ernäher bei sich selbst. Soviel Freiheit hatder dünne Hering sich ersungen.
