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Eisenherz im Exil Margot Honecker: Briefwechsel mit ihrem Verleger

Von Steffen Könau 15.06.2016, 20:06
Margot Honecker in ihrer Wohnung in Santiago: Dünne Wände, schwache Heizung, hübsche Bilder.
Margot Honecker in ihrer Wohnung in Santiago: Dünne Wände, schwache Heizung, hübsche Bilder. Frank Schumann

Halle (Saale) - Sie mag es nicht, vor allem nicht im Sommer. Zuhause in Halle, der alten Heimatstadt, wird es im Juni ja langsam warm. In Santiago aber, 12 500 Kilometer entfernt, beginnt der Winter. „Ein verlängerter Berliner November, den ich nie mochte“, beschreibt Margot Honecker, die seit 1992 im chilenischen Exil lebt.

So ein richtiges Exil ist es freilich nicht, trotz dünner Wände und „einer winzigen Elektroheizung nur im Wohnzimmer“. Margot Honecker, mit 19 FDJ-Funktionärin, mit 21 Pionier-Chefin, mit 26 Ehefrau von Erich Honecker und mit 36 Ministerin, bekommt aus Deutschland sogar ihre Rente hintergeschickt.

Aber vom Gefühl her ist die gebürtige Hallenserin eine Verfolgte, wie schon ihr erster Brief an den Verleger Frank Schumann zeigt, der das Buch „Post aus Chile“ eröffnet, das fünf Jahre intensiven E-Mail-Verkehrs aufblättert.

Von einer „Zeit ungeheuerlicher Geschichtsfälschung im Dienst eines großangelegten antisozialistischen Feldzuges“ schreibt Margot Honecker da, noch mit der Schreibmaschine. Dieser Grundton ändert sich auch nicht, als der Ex-Journalist der „Jungen Welt“ und die ehemalige First Lady der DDR im Jahr 2010 erneut in Kontakt kommen.

Eigene E-Mailadresse

Schnell sind beide wieder beim Genossen-Du, wenn auch anfangs mit einer Anrede aus Vor- und Zunamen. Margot Honecker ist mit der Zeit gegangen. Die Schreibmaschine ist fort, die 83-Jährige nutzt nun die E-Mailadresse [email protected].

Am Nachmittag oder am frühen Abend sitzt sie vorm Rechner in ihrem Haus im Stadtviertel La Reina, schreibt Mails und schaut im Netz, was es Neues gibt. Ihr Enkel habe ihr das Internet beigebracht, hat sie dem in der Altmark lebenden Pfarrer Nils Ole Oermann verraten, der sie mehrfach besucht hatte.

Schumann gegenüber lässt sie erkennen, wie groß ihr Interesse für die deutschen Dinge noch immer ist. So fern, so nah - all die kleinen Zwistigkeiten in der Linken, das Gezänk in der DKP, die Krise des Kapitalismus, die sozialen Bewegungen und die vom Feind „aufgetürmten Lügenberge über unsere sozialistische Wirtschaft“.

Margot Honecker lebt nicht in der Vergangenheit, sondern hellwach im Heute. Sie netzwerkt. Sie liest. Und ihr Glaube ist unerschüttert. Er sucht sich seine Fakten und Tatsachen.

Schumann, bekennender Kommunist, gleichzeitig aber Chef eines Verlages, der Bücher verkaufen muss, erobert das Vertrauen seiner Brieffreundin mit unendlicher Geduld.

Der gebürtige Torgauer kennt sie alle, die auch zwei Jahrzehnte nach der Flucht der Honeckers noch Kontakt zur alten Freundin nach Chile halten. Politbüromitglieder sind darunter, Generale, Ex-Minister, DDR-Künstler und alte Freunde aus Halle. Bestellt er Grüße, freut sich Margot Honecker. Bringt er Todesnachrichten, findet sie bewegte Worte, etwa für Walter Womacka, den „lieben Menschen, guten Genossen und großen Maler“: „Die Reihen lichten sich, und wir müssen damit leben.“

Honecker fürchtet ein falsches Bild über sich

Ohne deshalb, das stellt Margot Honecker klar, Kompromisse einzugehen. Die Frau, in bösen Witzen als „lila Hexe“ verhöhnt, hat eine feste Vorstellung davon, welches Bild sie von sich gezeichnet haben will. Ungebeugt, ungebrochen und in der festen Gewissheit, dass nicht alles schlecht war. Sondern gut.

Eine gefilmte Begegnung mit dem Pfarrer Uwe Holmer, der die Honeckers 1990 aufnahm, als das gestürzte Spitzenpaar kein Dach mehr über dem Kopf fand, gehört nicht dazu.

„Ich fürchte, eine liebevolle Begegnung soll ein rührendes Bild von Menschlichkeit und Versöhnung vermitteln“, schreibt sie. Dabei wirke es aber „als Ablenkung davon, was sich davor und danach zugetragen hat“.

Das hängt Margot Honecker spürbar bis zuletzt nach, dieses tiefe Fallen, das sie als Verrat auch vieler ihrer Genossen an ihrem Mann und der gemeinsamen Idee begreift. Hier ist sie hart und bitter. E-Mails von Frau Eisenherz.

Dass es in den Hunderten von Nachrichten keine Reue gibt und keine Bitte um Verzeihung für Schaden, den Menschen in der DDR genommen haben, liegt hingegen nicht der Gefühlskälte, die Margot Honeckers oft unterstellt wird. Vielmehr versteht sie die Vorwürfe von Opfern einfach nicht, „die noch immer vor Hass triefen“ (M.H.).

Es war doch Klassenkampf, also quasi Krieg, beharrt die Frau, die ihrer alten Überzeugung aus Überzeugung anhängt und die Welt nach dieser ein- und aburteilt.

Margot Honecker ist aber, das schimmert hier und da durch, nicht nur die Ideologin und strenge Erbwalterin ihres Mannes, als die sie von außen gesehen wird und als die sie auch gesehen werden will, um stark zu wirken, trotz Krebs und kranker Augen.

Oft erzählt sie einfühlsam vom Wetter in Chile, das ihr als Gleichnis auf das Leben erscheint. Dann wieder - beim Kochen für die Enkelin - blendet sie in die Vergangenheit, als auch die Ministerin Honecker eine „stets gefragte Oma war“.

Selten rutscht ihr so Privates raus. Doch das abgeschirmte Leben im Zirkel der Macht lebten gewöhnliche Menschen, die Honeckers sogar nur privat gemeinsam. „Er hat seine Arbeit gemacht und ich meine“, beschreibt Margot ihr Verhältnis zu Erich, das nach 1990 gedeutet wurde als das einer starken Frau, die einen schwachen Mann führte. Falsch. „Wir haben uns nicht gegenseitig beraten.“

Letzte Worte, die nicht letzte Gewissheiten bringen, sondern ungewöhnliche Schlaglichter werfen. Anfang 2016 kommt noch eine Mail mit guten Wünschen für die schlechten Zeiten aus Chile, im Februar die Nachfrage nach einem Buch über Uganda. Danach verstummt [email protected]. Für immer. Margot Honecker stirbt am 6. Mai in Santiago de Chile. (mz)

Post aus Chile. Die Korrespondenz mit Margot Honecker. Edition Ost, 336 Seiten, mit Abb., 16,99 Euro