Manfred Jendryschik Manfred Jendryschik: «Wir haltlosen Idealisten»
Halle (Saale)/MZ. - Der Schriftsteller Manfred Jendryschik - 1943 in Dessau geboren, wo er von 1990 bis 1996 als Kulturdezernent diente - gehört als Dichter, Erzähler und Publizist zu den bedeutenden ostdeutschen Autoren seiner Generation. Bedeutend auch als literarischer Netzwerker und als regional wirksamer Kunst- und Kulturpolitiker. Ein Schriftsteller, der seine Wurzeln in der mitteldeutschen Nachkriegslandschaft hat, in deren gesellschaftlichen und geistigen Gegebenheiten, die über Jahrzehnte wenig Anlass für Optimismus boten.
Auch heute muss man hierzulande als Kulturbürger für seine gute Laune vor allem selbst sorgen - um wie vieles stärker also vor 1989. Das erklärt vielleicht den gern weltanschaulich abstrahierenden Zug in Jendryschiks literarisch-publizistischen Arbeiten, dieses zuweilen aufdringliche ideologische Zwinkern. Oder den humorigen Gestus der kleinen Prosa. Nur wirklich lustig wird es selten.
Die Verhältnisse waren auch nicht danach. Der Autor aber auch nicht, muss man nun bei der Lektüre der Publizistik aus vier Jahrzehnten einsehen: umständlich ist er, in der Sache oft weitschweifig, im Stil manieriert, in seinen politischen Positionen nach außen hin wenig eindeutig. Kein SED-Mitglied, aber SED-loyal ("unsere Sache" in einem den Biermann-Rauswurf kritisierenden Brief an Honecker). DDR-Autor mit Westreise-Privileg, der sich selbst als nichtautoritären Sozialisten begreift. "Wir haltlosen Idealisten" sagt er, wo er - nicht ohne Selbstergriffenheit - sich und seine Kollegen meint.
2010 legte der in Leipzig lebende Autor sein "HerbstStraßenTageBuch" von 1990 vor, im Projekte Verlag veröffentlicht unter dem Titel "Entschuldigung, wo geht's hier zur Revolution?". Nun hat der 68-Jährige also einen Band Publizistik folgen lassen, überschrieben: "Vorspiele Nachspiele: Deutsche Herbste". Man begreift den Titel nicht recht: Was ist es, was da zwischen Vor- und Nachspiel fehlt? Die wahre Einheit? Der wahre Sozialismus? Stattdessen: "Deutsche Herbste". Klingt flott, sagt wenig. Eindeutiger ist der Untertitel: "Lobhudel- & Pöbeleien", tatsächlich trifft das auf einige Texte im Wortsinn zu.
Vier Abteilungen bietet das Buch und einen Anhang von im Faksimile veröffentlichten Dokumenten: Papiere der Stasi, die den jungen Rostocker Germanistik-Studenten Jendryschik im Blick hatte, der mit dem nachmaligen westdeutschen Regiestar Claus Peymann Mitte der 60er Jahre im Austausch stand; der suchte mit der Hamburger Studentenbühne die Rostocker heim. Schreiben des großen Dichters Wolfgang Hilbig vom Ende der 70er Jahre sind zu finden, der von Manfred Jendryschik als Lektor im Mitteldeutschen Verlag ein abschlägiges offizielles Gutachten verlangte, um seine Gedichte dann im Westen veröffentlichen zu können.
Den Hauptteil des Buches machen von Jendryschik vorgenommene Würdigungen zeitgenössischer, ja befreundeter Autoren aus: Peter Gosse, Volker Braun, Karl Mickel. Rezensionen zur Gegenwartsliteratur sind zu finden, Reden zu verschiedenen Anlässen. Vieles davon ist heute nur noch literaturhistorisch von Interesse. Interessant ist es immer dann, wenn es sozusagen lebensweltlich konkret wird.
Eröffnet wird der Sammelband von einer 1999 verfassten Entgegnung auf zwei den Osten - selbstverständlich ahnungslos - abqualifizierende "Spiegel"-Aufsätze. Man versteht heute nicht mehr so ganz, warum ausgerechnet die Auslassungen einer alten publizistischen Krawallschachtel wie Matthias Mattussek so viel Energieabfuhr wert sein sollten. Aber Jendryschik gelingen aus diesem Anlass auch einige gut fundierte Beobachtungen, die unter anderem die DDR weniger als Mitläufergesellschaft denn als eine "Verweigerungssozietät" begreifen und ein ausgeprägtes "Hierarchie- und Anpassungsbewusstsein" im Westen ausmachen, was ja tatsächlich so ist.
Man liest das jedenfalls lieber als ein Statement vom Dezember 1989, in dem Jendryschik öffentlich über die DDR-Bürger nachdenkt: "Und was haben wir den Menschen anzubieten, die nicht strategisch-verantwortlich zu denken gelernt haben, nicht allgemein-solidarisch..." Hier wird, DDR-typisch, über Erwachsene wie über Kinder gesprochen, die nur auf den Erziehungsberechtigten aus dem DDR-Schriftstellerverband warten. Das winkt man durch. Genauso wie Jendryschiks Pöbelei gegen den Kollegen Adolf Endler ("diesen Armleuchter"), weil dieser ein auf ihn von Jendryschik verfasstes, in vieler Hinsicht glückloses Gedicht ("Gelegentlich A. E., Polemiker") zu Recht gar nicht glücklich fand.
Man muss das alles aufführen, weil solcherart Texte den Hauptteil des Buches ausmachen. Und um zu erklären, warum man aufatmet, kaum dass einmal die Stichworte Sachsen-Anhalt, Anhalt oder Dessau fallen, wo sich Manfred Jendryschik im Dezember 1989 als Kulturdezernent bewarb, denn er musste ja "unter absehbar völlig neuen Verhältnissen, in den nächsten Jahren existieren". Die Dessauer Tagebuchblätter aus den Amtsjahren bieten sympathische Miniaturen. Diese zeigen den Dezernenten, wie er ein in seinem Dienstzimmer abgehängtes Honecker-Bild - auch unter Beschimpfungen - vom Rathaus weg ins Museum schafft. Man erfährt von der Angst des als Oberbürgermeister amtierenden Dezernenten, dass vielleicht "ein Flugzeug ins Zentrum" fallen könnte: "und ich weiß nicht im mindesten, was ich tun soll, wen anrufen, wie alarmieren usf."
Überhaupt: Ist Manfred Jendryschik sinnfällig in seiner Herkunftslandschaft unterwegs, folgt man ihm gern. Dessau-Texte wie "Das Achteck" oder "Kleine Huldigung" gehören zum Besten des Bandes. Sogar ein Lächeln kann gelingen. Die Huldigung der Fichtenbreite als Kindheitsstraße endet: "Einmal fragte mich ein Kollege, ob es stimme, dass ich tatsächlich dort geboren wurde und aufgewachsen bin. Und dann sagte er: Das hätte ich nicht von dir gedacht."