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Magdeburg Magdeburg: Klangfarben aus Licht in der Johanniskirche

Von Günter Kowa 19.09.2012, 17:39

dresden/magdeburg/MZ. - Gebeugt und auf den Stock gestützt empfängt Max Uhlig den Besucher an der Tür seines Ateliergebäudes, versteckt in einem Seitental der Elbe näher an Pillnitz als an Dresden. Das Gebrechen des 75-jährigen unbeirrbaren Einzelgängers der Dresdner und der DDR-Malerei ist vergessen, sobald er mit dem Besucher in den lichten Saal tritt, der auf den Hof hinausblickt. In der Stimme ist noch dieselbe Energie spürbar, die der Maler zusammen mit seiner Frau nach der Wende in den Umbau des Gebäudes, einer damals zur Ruine verfallenen Chemiefabrik, gesteckt hat, und die seine Bilder durchzieht.

Die Leinwände hängen meterlang an den Wänden, sind am Boden hintereinander gestapelt. Das Streulicht aus den Fabrikfenstern erhellt Farbgeflechte aus endlos fließenden, geträufelten, und dabei bedächtig in Handschwüngen gesetzten Pinselzügen. Doch der Anlass des Besuchs ragt mannshoch über eine Tischplatte. Es ist das Modell vom Chor und einer Langhauswand der Magdeburger Johanniskirche. Klarsichtfolien hängen über den gotischen Maßwerkfenstern, darauf farbige Skizzen. Es sind Entwürfe für die Glasfenster des Bauwerks, dessen Kriegsruine die Stadt nach der Wende zu einem Veranstaltungssaal umgebaut hat.

Der Zyklus für die sieben Fenster im Chorpolygon und sechs an der Südseite könnte in wenigen Jahren Max Uhligs größtes malerisches Vermächtnis darstellen, wenn es nach dem Willen des Kuratoriums der Kirche geht, die Stadträte zustimmen und Sponsoren gefunden werden. Anfang des Jahres waren neben Uhlig Tony Cragg, Günther Uecker und Olafur Eliasson zu einem vom Stadtplanungs- und vom Landesdenkmalamt angeregten Wettbewerb eingeladen. Letzterer sagte ab, die anderen blieben fern.

Uhlig war und ist von dem Projekt wie elektrisiert. Das wird deutlich, wenn er aus Kartons ungezählte Blätter nimmt und zu den auf Tischen ausgebreiteten Skizzen hinzufügt. Immer neue holt er aus anderen Räumen herbei. Uhlig, so viel wird deutlich, arbeitet an der Summe seines Schaffens.

Jedoch als Glasmaler? Das Medium Glas für sein Werk zu entdecken, kann bei einem Maler nicht mehr überraschen, da ist er in bester Gesellschaft. Massenandrang meldet der Kölner Dom vor dem Südquerhausfenster mit Gerhard Richters (computergenerierten) "4 096 Farben". Und die Kunstkritik geht in die Kirche: zu Sigmar Polke ins Zürcher Großmünster, zu Markus Lüpertz in St. Andreas in Köln, zu Neo Rauch im Naumburger Dom, zu Imi Knöbel gar in die Krönungskathedrale in Reims.

Die Prominenz der Bauten ist es nicht allein, die die Malerfürsten lockt. Die laufende Ausstellung neuer deutscher Glasmalerei in Chartres (deren Umzug nach Naumburg für nächstes Jahr beschlossen ist) versammelt Projekte für lauter kleine Kirchensprengel. Wie Markus Lüpertz' Auftritt jüngst in Gütz, und der von Xenia Hausner in Gehrden zeigt, entzündet sich Genie auch an und in der Provinz, und unversehens zieht die Moderne in Dorfkirchen getränkt in lokaler Geschichte.

Dabei ist es eine Renaissance der Künstler-Glasfenster, die gerade zu erleben ist. Neben den Fenstern der zünftigen Glasmaler gab es sie quer durchs 20. Jahrhundert. Was die Zunft im Gespann mit immer besser gerüsteten Werkstätten aber erreichte, ist die ungeahnte Ausdehnung technischer Möglichkeiten im Umgang mit Glas: solchen, die das Medium auch für Eigenheiten der freien Malerei, etwa des Pinselduktus und der koloristischen Wirkung erschließen.

Das ist es ja gerade, was Uhligs Werk so geeignet für das Durchfluten von Licht erscheinen lässt. Kritiker haben stets das Skulpturale seiner bildnerischen Sprache betont, aber vor allem wenn man seine Aquarelle betrachtet, hat sie auch etwas Flüssiges, Schimmerndes, also wie geschaffen für das Einwirken von Licht.

Doch malerische Wirkungen auf Glas zu übertragen, bedeutet für den Künstler auch, den letzten Akt des kreativen Prozesses in die Hand der Werkstattspezialisten übertragen zu müssen. So weit ist es für Uhlig noch lange nicht, auch wenn mittlerweile nahezu ausführungsreife Entwürfe vorliegen.

Bis dahin war es ein langer Weg. Trotz ganzer Stapel von Vorstudien verwarfen Künstler und Kuratorium etwa die Idee, Veduten der Stadtgeschichte in Elbe-inspirierte Landschaften einzubeziehen. Es sollte auch keine Porträts von Kirchengelehrten, Heiligen und Gestalten der Magdeburger Geschichte geben. Eine Aufsicht des Elblaufs, Himmelsstudien - alles kam und ging. Sicher war sich der Künstler nur im Prinzipiellen: "Ich will keine dekorative Abstraktion." Den Bezug zu inhaltlicher Tiefe fand er im Motiv des Weinstocks, einem Thema vieler seiner südfranzösischen Bilder: "Der Weinstock ist ein Symbol des Lebens."

Es ist denn auch das Motiv des Weinstocks, das die Chorfenster ausfüllt - in Einzelstudien von deutlich grafischer Ausprägung und als tiefschwarze Umrisse, wobei Uhlig das Schwarz wie auch in seinen Bildern aus einer Mischung von Farben in tiefsten Tönen gewinnt. Die farbliche Askese ist gewollt: Für den von Norden eintretenden Besucher ist der Blick auf den Chor nachrangig, einfangen wird ihn die lichterfüllte Südseite.

Für diese Quasi-Hauptansicht schwebte Uhlig von Anfang an ein Landschaftsbezug vor, aber er hat am Ende jede identifizierbare Topografie zugunsten der Abstraktion vermieden, die für sein Oeuvre so typisch ist: "Überprüft im Vis-à-Vis zum Gesehenen, sozusagen unter strenger Kontrolle an der realen Landschaft". Er hat das für ihn typische Querformat quasi in sechs Hochformate zerschnitten.

Geschehen ist viel mehr, denn er hat sich in vielfachen Experimenten dem vorherrschenden Farbklang angenähert, einem Klang, der im Licht förmlich brennen soll. Man mag es sich an den Entwürfen vorstellen, das Licht-Spiel der Fenster im Kirchenraum wird alle Theorie übertreffen. Magdeburg hat es in der Hand, sich mit den Uhlig-Fenstern ein großes Kunst-Ereignis in die Stadt zu holen.