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Lützen Lützen: Der Kulturkampf der Braunkohle

Von Günter Kowa 22.01.2008, 18:32

Lützen/MZ. - Die Unruhe ist den Probebohrungen geschuldet, mit der die Bergbaugesellschaft Mibrag nach Lagerstätten der Braunkohle forscht. Ein 600-Watt Kraftwerk bei Profen ist geplant und soll eine Milliarde Euro kosten. Deshalb sucht die Mibrag einen Partner, weil auch die eigene Existenz davon abhängt.

Seit Beginn der Industrialisierung bringt die Region der Braunkohle gewaltige Opfer. Ganze Landstriche wurden abgebaggert. 16 Ortschaften verschwanden allein im Geiseltal. Im "Südraum Leipzig" waren es 65 seit 1941. Mehr als 23 000 Menschen wurden umgesiedelt. Zuletzt hat Heuersdorf in Sachsen den jahrelangen Kampf gegen das Bergrecht verloren.

In der Lützener Region aber könnte mehr auf dem Spiel stehen. Zwar dürfte die Stadt mit rund 1 200 Grundstücken zu groß für eine Umsiedelung sein, doch in der Nähe liegt das Schlachtfeld von 1632, auf dem Schwedenkönig Gustav Adolf fiel. Und in Röcken steht das Pfarrhaus, in dem der Philosoph Friedrich Nietzsche geboren wurde, und wo er im Schatten der Pfarrkirche begraben liegt. Diese Orte sind ein Kulturerbe der Menschheit.

Entscheidet die Mibrag ihr Schicksal? Würde es die Politik zulassen? Die Auskünfte sind nicht beruhigend. Mibrag-Sprecherin Angelika Diesener erklärt zwar, dass "kulturhistorische Gesichtspunkte in die Planung einfließen", will aber "keine rote Linie ziehen." Harri Reiche, Landrat des Burgenlandkreises, will durchaus nicht billigend in Kauf nehmen, dass Kulturdenkmäler vernichtet werden, aber auch "nicht garantieren, dass das nicht passieren wird". Der Kreistag beschloss kürzlich gar mit den Stimmen aller Parteien außer den Grünen, dass sich die Region zur Braunkohle bekennt.

Dieser Gleichklang von Unternehmens- und lokaler Politik ist nicht über Nacht entstanden. Die Braunkohleindustrie stützt ihre Macht nicht allein auf das Bergrecht. Der Raubbau an der Umwelt findet den gesellschaftlichen Konsens, weil die Industrie ihre Ansprüche auch kulturell untermauert.

In Heuersdorf ist das jüngst auf Aufsehen erregende Weise geschehen. Die Kirchengemeinde, die auf Entschädigung verzichtete, forderte stattdessen den Umzug der Pfarrkirche. Die Mibrag zahlte drei Millionen Euro für den Transport des Bauwerks auf Sattelschleppern ins nahe Borna. Zwar blieben, den Berichten zufolge, viele ehemalige Heuersdorfer dem "volksfestartigen Empfang" fern, aber die Mibrag sonnte sich im Medienecho.

Ganz im Sinne der Industrie hielt der sächsische Ministerpräsident Milbradt eine Rede, die die Landschaftszerstörung mit der Rettungstat in eine bergbaufreundliche Beziehung setzte: Der Verlust der Dörfer sei zu bedauern, doch die Gerechtigkeit liege in der Entschädigung der Einwohner und in der Versorgungssicherheit für alle. Die Braunkohle sei unverzichtbar im "Energiemix" und für die Sicherung von gut 2 000 Arbeitsplätzen. Aus Mondlandschaften würden bald Freizeitparks.

Die Umkehr von kultureller Zerstörung in einen gesellschaftlichen Gewinn ist ein gedanklicher Akt, für den die Mibrag aufwendig und nachhaltig den Boden bereitet. Sie weiß sehr wohl, warum sie große Summen in Stiftungen investiert. 2,5 Millionen Euro Grundkapital steckte sie 1998 nach der Umsiedlung von Großgrimma in die "Kulturstiftung Hohenmölsen". Und neuerdings gibt es die mit 3,3 Millionen dotierte "Stiftung zur Förderung der Archäologie in Mitteldeutschland", die einen Archäologiepreis verleiht, der jüngst mit viel Prominenz in der "Arche Nebra" verliehen wurde.

Die Hohenmölsener Stiftung lädt Studenten zu "Sommerakademien" ein, die die Energiewirtschaft durchaus in einen interdisziplinären Blickwinkel nehmen, freilich stets unter den Prämissen des in die Zukunft fortgeschriebenen Tagebaus. Als dort im vergangenen Jahr "Neu-Röcken im Jahr 2037" projektiert wurde, kam das Nietzsche-Erbe darin erst gar nicht vor. Darin zeigt sich die Abhängigkeit dieser Einrichtungen vom Kulturbegriff der Braunkohleindustrie.