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Literatur Literatur: Vor 60 Jahren wurde die Gruppe 47 gegründet

Von Esteban Engel 05.09.2007, 08:16
Der Vorsitzende der Gruppe 47, Hans Werner Richter, steht im Oktober 1967 vor der Pulvermühle in Waischfeld/Oberfranken, wo sich die Schriftsteller trafen. (Foto: dpa)
Der Vorsitzende der Gruppe 47, Hans Werner Richter, steht im Oktober 1967 vor der Pulvermühle in Waischfeld/Oberfranken, wo sich die Schriftsteller trafen. (Foto: dpa) dpa

Berlin/dpa. - Ob Günter Grass, Heinrich Böll oder Martin Walser - die Gruppe 47 hat mehreren Autorengenerationen imNachkriegsdeutschland ein Forum geboten. Seit ihrer Gründung vor 60 Jahren bis zur Auflösung 1967 übte die Gruppe einen «segensreichen Einfluss» auf das Kulturleben aus, wie es «Literaturpapst» Marcel Reich-Ranicki einmal formulierte.

Von einem «Zentralcafé einer Literatur ohne Hauptstadt» sprachHans Magnus Enzensberger, für Günter Grass war es ein «deutschesWunder»: Eine Gruppe, die nur aus Postkarten-Einladungenzusammengehalten wurde. Absender war stets Hans Werner Richter (1908-1993), der die jungen Autoren und die etablierten Kollegen zu denRunden einlud. Dort nahmen sie Platz auf dem «elektrischen Stuhl», umaus ihren neuen Texten vorzulesen, sich kritisieren oder manchmalauch loben zu lassen.

Zwischen der ersten Tagung am 6. und 7. September 1947 amBannwaldsee in Füssen bis zum letzten Gefecht im Gasthof«Pulvermühle» bei Waischenfeld in Oberfranken zog die Gruppe alswandelndes Romanisches Café vor allem durch Süddeutschland. Jeweilseinmal in Schweden, in Italien und trotz heftiger Proteste einigerMitglieder auch im US-amerikanischen Princeton wurden Begegnungenabgehalten.

Es war wohl die Liebe zur Literatur, die Richter zur Gründung derGruppe inspirierte. Richter, ein ehemaliges KPD-Mitglied, war 1940 indie Wehrmacht eingezogen worden und geriet 1943 während der Schlachtin Monte Cassino in amerikanische Gefangenschaft. In dem US-Lager, woer seine Zeitschrift für Kriegsgefangene redigierte, begann seinejournalistische und literarische Laufbahn.

Als Richter 1946 nach Deutschland zurückkehrte, gründete erzusammen mit Alfred Andersch in München die Zeitschrift «Der Ruf»,die schnell mehr als 100 000 Abonnenten hatte. Doch bald wurde dasBlatt wegen Kritik der Besatzungsmächte von der US-Militärregierungverboten. Die Nachfolgepublikation «Der Skorpion» durfte auch nichterscheinen. So beschloss Richter, dass sich die Autoren gegenseitigdie Texte vorlesen und dann darüber diskutieren. Aus diesem Kreisentstand die Gruppe 47.

Die rund 30 Treffen in 20 Jahren waren «Theaterstücke mit einemunbekannten Text», wie sich jüngst Martin Walser erinnerte. Auch«Szenen äußerster Peinlichkeit» habe es gegeben. Und die Intrigenseien «auf keine Kuhhaut» gegangen, schrieb Reich-Ranicki. Die Gruppewurde allmählich auch für eine größere Öffentlichkeit interessant undauch jenseits des Literaturbetriebs wahrgenommen. «Viele Jahre hattendie Verleger skeptisch abseits gestanden. Nun kauften sie fast alles,was auf einer Tagung gelesen wurde, oft auch Manuskripte, die nureinen mäßigen Erfolg hatten», erinnerte sich Richter später. DieTagungen drohten zu «Massenveranstaltungen» zu werden.

Zu einem Wendepunkt wurde die Tagung 1958 in Großholzleute imAllgäu. Bis dahin hatte die «Generation der Kriegskinder» die Szenebeherrscht. Nun wurden erste Risse deutlich. Viele Autoren begannensich politisch zu engagieren, vor allem für die SPD. Und dievorgetragenen Texte wurden immer mehr zu einer «Literatur der reinenForm», wie Richter in seinen Erinnerungen (Verlag Langen Müller)schrieb. Zu ihren Sprechern gehörten jungen Autoren wie HansChristoph Buch, Hubert Fichte und Gisela Elsner.

Mit dem Einstieg des Literaturwissenschaftlers Hans Mayer, dernach einem Westbesuch nicht mehr in die DDR zurückkehrte, gewannenlangsam die Kritiker die Oberhand. «Der Autor las nicht mehr anderenAutoren seine Arbeit vor», sondern einer «geschlossenen Gruppe vonBerufskritikern», die die Texte wie «kostbare Edelsteine»behandelten. Nicht mehr die Debatte stand im Vordergrund, sondern dasUrteil von Fachleuten. Zu den großen Verdiensten Richters gehört wohldie Entdeckung Ingeborg Bachmanns. Übersehen wurde dagegen PaulCelan, der wegen seiner pathetischen Sprachmelodie bei den Kollegendurchfiel.

Verschleißerscheinungen traten auf. Von konservativer Seite wurdeder Gruppe «Meinungsterror» vorgeworfen, die CSU sprach gar von einer«linken Reichsschrifttumskammer». Die 68er-Protestgeneration warf derGruppe «Elitenbildung» vor, wie die Journalistin Ulrike Meinhof inder Zeitschrift «konkret» schrieb. Die offizielle Auflösung folgteerst zehn Jahre nach der letzten Tagung, 1977 in Saulgau. Und einletztes Treffen 1990 auf Schloss Dobrii¨ bei Prag war nur noch eineBegegnung langjähriger Mitglieder mit den Autoren einer neuenGeneration, die die Gruppe nur aus den Geschichtsbüchern kannte. Auchwenn Elfriede Jelinek die Gruppe einmal «eine Sadisten-Vereinigung»nannte - für den Kritiker Joachim Kaiser war im Rückblick alles «einenormer Spaß».