Literatur Literatur: «Korinthenkacker» und «Tüpflischeisser»

Duisburg/dpa. - Was in Österreich mit «Exekution» gemeint ist,klingt in der Schweiz mit «Beitreibung» schon harmloser und wird imDeutschen am treffendsten mit «Pfändung» oder «Zwangsräumung»beschrieben. Nur eins von 12 000 Wörtern und Wendungen ausdeutschsprachigen Ländern, die im jetzt erschienenen«Variantenwörterbuch des Deutschen» des Duisburger Linguisten Prof.Ulrich Ammon zu finden sind. Dazu gibt es Anwendungsbeispiele: «Aberwenn ich nicht verdienen kann, kann ich mir keine Wohnung leisten undmeine Schulden nicht zurückzahlen und dann kommen Exekutionen.»
Sieben Jahre lang haben Forscherteams der Universitäten Duisburg-Essen, Basel und Innsbruck Zeitungen und sonstige Texte der jeweilsanderen Länder nach Ausdrücken durchsucht, die es im deutschen,österreichischen oder schweizerischen Deutsch nicht gibt. Dann ginges darum, Standardsprache von Dialekt zu trennen. Dazu wurde nach derVerwendung der Ausdrücke mit einer eigens entwickelten Software imInternet gefahndet. «Wenn ein Ausdruck dutzende Male in öffentlichenTexten verwendet wurde, konnte er als Standard-Sprache aufgenommenwerden», erläuterte Ammon.
So ist der bundesdeutsche «Korinthenkacker» in Österreich ganzoffiziell ein «Tüpferlreiter» und in der Schweiz gar ein«Tüpflischeisser». Und während sich Deutsche und Österreicher bei der«Abschiebung» sprachlich einig sind, sprechen die Schweizer von«Ausschaffung» oder «Rückweisung». Ebenso ist der österreichische«Untergriff» eine bundesdeutsche «Beleidigung» und die«Unterfertigung» in Deutschland und der Schweiz die «Unterschrift».Wer in Österreich jemanden «vernadert», also «denunziert», könntesogar ein «Vernaderungs-Journalist» sein.
Die Forscher unterscheiden nicht nur Standardsprache in diesendrei deutschsprachigen Länder, sondern untersuchten auch Ausdrückeaus Luxemburg, Südtirol, Liechtenstein und Ostbelgien, in denenDeutsch ebenfalls Amtssprache ist. So spricht die deutschsprachigeMinderheit rund um die ostbelgische Ortschaft Eupen von einem«Mandatar» wenn sie einen «(Parlaments)abgeordneten» meint, und inLichtenstein heißt ein Bürgermeister einfach «Ortsvorsteher».
Doch auch die Unterschiede innerhalb der Bundesrepublik werdenausführlich gewürdigt: Vor allem die Ausdrücke aus Deutschland-Südost(gemeint ist Bayern) unterscheiden sich oft auffällig von denWendungen im Rest der Republik. So ist für die Freistaatler dasEndstück eines Brotes wie für die österreichischen Nachbarn einScherz, während es sonst in Deutschland «Kanten» (Nord/Mittel),«Knäppchen» (Mittelwest) oder «Riebele» (Südwest) heißt.
«Unser Hauptmotiv war, der deutschen Arroganz entgegen zu wirken,die die Standardsprache in Österreich und in der Schweiz in der Regelals Dialekt belächelt», sagt Ammon. «Das Wörterbuch soll diesprachlichen Beziehungen zwischen den deutschsprachigen Ländernverbessern.»
Herausgekommen ist ein bislang einmaliges «Variantenwörterbuch»,das es laut Ammon bislang noch für keine andere Sprache der Weltgibt. Interesse gibt es allerdings bereits. Die Redaktion des Oxford-English Dictionary hat sich bereits in Duisburg gemeldet: Denn auchfür die zahlreichen Länder mit Englisch als Amtssprache gibt es nochnichts Vergleichbares.
Ulrich Ammon: Variantenwörterbuch des Deutschen Verlag De Gruyter, Berlin 960 S., Euro 68,-- (gebunden) ISBN 3110165759 oder Euro 29,95 (broschiert) ISBN 3110165740)