Leipzig Leipzig: Über Gangster, Gauner und Ganoven
Halle (Saale)/MZ. - Wer gespannt gewesen sein sollte, ob man in Leipzig den Schneid haben würde, auch den Fall Schneider zu zeigen - er wird den Sachsen nun Courage attestieren müssen. Ganz selbstverständlich bekommt der sogenannte Baulöwe seinen Platz in der großen Ausstellung "Gangster, Gauner und Ganoven", die im Stadtgeschichtlichen Museum zu sehen ist.
Schneider hatte Anfang der 90er Jahre die feinsten Adressen der maroden Leipziger Innenstadt aufgekauft, um sie zu sanieren - von Geld, das er nicht besaß. Er soll sich dafür insgesamt 1,2 Milliarden D-Mark bei 22 Banken geborgt haben, so kann man im Katalogbuch zur Schau nachlesen.
1994 platzte der schöne Traum, wenigstens für Schneider. Der insolvente Unternehmer floh nach Florida, wurde geschnappt und zu sechs Jahren Haft verurteilt, von denen er zwei Drittel absaß. Viele kleine Baufirmen, die in Vorleistung gegangen waren und von Schneider kein Geld bekamen, guckten in die Röhre. Aber am Ende strahlte Leipzigs City so schick, wie Schneider es immer versprochen hatte. So fällt das Urteil über den großspurigen Sanierer im Nachhinein ausgesprochen milde aus: "Alles in allem wäre die Leipziger Innenstadt ohne Dr. Jürgen Schneider heute mit Sicherheit um einige Attraktionen ärmer", schreibt Gert Hochmuth im Katalog.
Und die Besucher, die das Museum im Stadtzentrum am hellichten Werktag gut bevölkern, haben sowieso ihre eigene Meinung: "Da hättense damals noch ganz andere drannkriechen müssen", sagt eine resolute Dame zu ihrer Begleiterin. Es gibt keinen Widerspruch.
Überhaupt ist man gut gelaunt in dieser Schau, die doch vom Bösen und Bizarren berichtet. Und von der Strafe, die noch allemal oder wenigstens in der Mehrzahl der Fälle auf dem Fuße folgt. Entgegen aller anderslautenden Bekundungen der gebildeten Menschen, für die wir uns ja alle halten, gibt es eben doch ein verbreitet starkes Interesse an Mord und Totschlag. Und schließlich ist es auch nur ehrlich, wenn eine Stadt sich beim Blick auf ihre Geschichte nicht nur an die Lichtgestalten und Glücksmomente erinnert, sondern auch die dunklen Kapitel erhellt.
Ob es dazu der im Keller des Museums gezeigten historischen Tatortfotos bedurft hätte, die mit jüngeren Presseaufnahmen von Brandstiftungen in einer Gartensparte konfrontiert werden, steht freilich dahin. Schwarzweißen Grusel zeigen die einen, mit "richtigen" Leichen und echtem Blut, banal sind die anderen.
Die Schau selber aber wird den Freunden der Kriminalgeschichte nicht aus Leipzig gewiss zu bildender Unterhaltung verhelfen. Dabei darf natürlich der tragische Fall des eifersüchtigen Perückenmachers Johann Christian Woyzeck und seiner Freundin Johanna Christiana Woost nicht fehlen, der durch Georg Büchners Drama posthum in eine bedeutendere Liga aufgestiegen ist.
Der authentische Woyzeck war tatsächlich ein armer Hund, er war arbeits- und obdachlos, seine Liebste war auch anderen Männern gut und soll ihn schlecht behandelt haben. Am 2. Juni 1821 schließlich hat er sie umgebracht, am 27. August 1824 wurde das Todesurteil vollstreckt - nachdem Woyzeck zuvor als Henkersmahlzeit noch eine Gänsekeule verzehrt hatte, mit großem Appetit, wie Zeugen berichteten.
Dass drei Jahre zwischen Tat und Hinrichtung lagen (übrigens der letzten, die öffentlich auf dem Leipziger Marktplatz vollzogen wurde), geht auf eine Mediendebatte zurück: Die "Nürnberger Zeitung" hatte geschrieben, Woyzeck sei verrückt.
Das hat ihm den Hals am Ende nicht gerettet, immerhin aber den Nachruhm durch Büchners grandioses Drama eingetragen, in dem die Not des armen Woyzeck endlich als soziale Frage diskutiert wird - in aller gebotenen Schärfe.
Andere Ehre nach der Hinrichtung wurde dem Frauenmörder Johann Heinrich Gottlob Jonas zuteil. 1790 musste er sein Leben lassen, weil er einer seiner zahlreichen Freundinnen das ihre genommen hatte. Doch siehe, kaum war der Missetäter verschieden, strömten zahlreiche Bürgerfrauen herbei und bestreuten den Leichnam mit Blumen. Den Fanclub hatte Jonas durch sein gutes Aussehen und vornehmes Betragen erworben, mit dem er sich in den Tagen vor der Hinrichtung öffentlich präsentieren ließ, ist überliefert worden.
Es gibt nichts, das es nicht gibt, heißt es. In dieser Weisheit bestätigt, kann man Schritt für Schritt durch die Zeiten wandeln. Gestohlen, betrogen und gemordet wurde immer, auch in der DDR, die davon allerdings weniger Aufhebens machte als von den heroischen Siegen bei der Erfüllung des Volkswirtschaftsplans.
So erfährt man in der Schau die grausigen Einzelheiten über den 1955 begangenen Mord an einem Taxifahrer in Leipzig-Wahren, der Täter ist nie ermittelt worden. Schnell geklärt war indessen der Mord an einem Baby, das am 9. Oktober 1978 vor der "Blechbüchse", dem Kaufhaus am Brühl, entführt und im nahen Rosenthal erstickt worden war. Und der Täter, geistig behindert offenbar, war selbst noch ein Kind.
Da tritt die Schau mit einem Mal aus dem milden Licht des Anekdotischen, in dem sie sich über weite Strecken selbst gefällt.
Bis zum 27. Januar, Stadtgeschichtliches Museum Leipzig, Böttchergäßchen 3 , Di-So 10-18 Uhr