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Kultfilm Kultfilm: Vielen Tank

Von Steffen Könau 18.11.2011, 16:45

Halle (Saale)/MZ. - Eines Tages wurde André Greiner-Pohl klar, dass es Zeit war, ein Denkmal zu bauen. Zehn Jahre lag das letzte Lebenszeichen von "Rudy 102" da schon zurück. Im Internet zahlten Fans Unsummen für zerlesene Exemplare von Janusz Przymanowskis Buch. Und in den Köpfen der Generation, die mit Janek, Gustlik und Grigorie aufgewachsen war, begann die Erinnerung an den berühmtesten Panzer der Kinderjahre langsam zu verblassen.

Also musste Freygang ran, die Band, mit der Greiner-Pohl in der DDR verboten gewesen war, weil er sich der Forderung "Schwerter zu Pflugscharen" angeschlossen hatte. Ausgerechnet Freygang spielte jetzt ein Lied zu Ehren von "Vier Panzersoldaten und ein Hund", der polnischen Fernsehserie, die zwischen 1967 und 1975 im ganzen Ostblock Furore gemacht hatte.

Erstmals zeigte damals ein Film aus dem sozialistischen Lager den II. Weltkrieg ironisch überspitzt, als Unterhaltungs-, nicht als Erziehungsfernsehen. Eine Revolution in Schwarzweiß, aufgemacht als Abenteuer-Mehrteiler, getarnt als Kinderfilm voll mehr oder weniger absurder Heldentaten.

Die Machart ist ähnlich wie bei Robert Altmans Militärklamotte "Mash". Dreht die sich um die Erlebnisse von drei Militärärzten im Koreakrieg, schildert "Czterej pancerni i pies" den Weltkrieg aus der Sicht einer polnischen Panzerbesatzung, die an der Seite der sowjetischen Armee Richtung Berlin vorrückt. Das Zynische, das "Mash" letztlich zum Antikriegsfilm macht, fehlt den Panzersoldaten zwar. Doch für eine Generation, die in den 60er und 70er Jahren in der DDR, Polen, Ungarn oder der Tschechoslowakei aufwuchs, enttabuisierten die 21 Folgen den in der Schule heroisierten "Großen Vaterländischen Krieg". Zum ersten Mal waren die Guten nicht durchweg strahlende Heldengestalten, sondern durchaus faule, feige oder sonstwie fragwürdige Figuren. Zum ersten Mal waren Spannung und Abenteuer auf dem Schlachtfeld nicht nur erlaubt, sondern ausdrücklich erwünscht.

Bei den vier Panzersoldaten fanden Jungen, was Mädchen im tschechischen Märchenfilm "Drei Haselnüsse für Aschenbrödel" entdeckten: Eine halbreale Wirklichkeit, in der das Böse böse und das Gute gut war und von Anfang an sichergestellt, dass das Richtige am Ende selbstverständlich siegt.

Große Tragödien und kleine Dramen eingeschlossen. Der erste Panzerkommandant Olgierd stirbt im feindlichen Kugelhagel. Sein erst 17-jähriger Nachfolger Janek kann sich zwischen der rothaarigen Sanitäterin Marusia und der blonden Funkerin Lidka nicht entscheiden. Im Einsatz wird mal dieses, mal jenes Besatzungsmitglied verletzt und die Deutschen greifen immer wieder auf Tricks und Hinterhalte zurück, um die vorrückende polnische Panzertruppe aufzuhalten.

Das Erzähltempo ist dabei eher behäbig, die Dialoge und Konflikte erinnern an Jugendbücher wie Mark Twains "Tom Sawyer" oder Eric Knight verfilmte "Lassie"-Abenteuer. Umso erstaunlicher ist, welch Fangemeinde Gustlik-Darsteller Franciszek Pieczka, "Janek" Janusz Gajos und W?odzimierz Press, der den georgischen Schnauzbartträger Grigorij Saakaszwili spielt, bis heute haben. Jahrzehntelang hatte der Anhang der Tank-Truppe auf eine Neuausstrahlung oder Video-Veröffentlichung der Serie gewartet. Doch vergebens. In der Not wurden Folgen im polnischen Fernsehen mitgeschnitten, das die "Panzersoldaten" immer am 8. Mai ausstrahlt. Später kursierte auf Wochenmärkten an der Grenze eine DVD-Box mit den polnischen Originalfilmen mit englischen Untertiteln.

Die Nachricht von einer deutschen Ausgabe wurde denn auch geradezu euphorisch gefeiert. "Viele schöne Erinnerungen aus meiner Kindheit kommen in meinem Sinn", scheibt ein Fan nach dem Auspacken der so genannten "Panzer-Edition" mit acht DVDs, Begleitheft und einem T-34-Panzermodell zum Basteln. Enthalten sind sogar die sagenumwobenen Folgen 11 bis 14, in den 80ern aus dem DDR-Archiv verschwanden. Hier sind sie nun wieder, neu synchronisiert. "Mein Bruder, ich und noch drei, wir waren die vier Panzersoldaten", erinnert sich ein anderer Fan im Internet: "Gustlik war mein Bruder, ich war der Hund."

Von so viel Erfolg hatte der 1998 verstorbene Autor Janusz Przymanowski nicht einmal geträumt. Der Mann aus Warschau war zwischen 1940 und 1943 in der Sowjetunion interniert gewesen, dann trat er als Freiwilliger in die Rote Armee ein und kämpfte in einem Korps der polnischen Streitkräfte in der UdSSR. Während seines Geschichtsstudium an der Uni in Warschau schrieb Janusz Przymanowski dann die hochgradig idealisierte Geschichte der Rudy-Besatzung: Mit Pfiffigkeit, Improvisation und Mut befreien Polen und Russen ihre Heimat vom faschistischen Joch.

Was ein kleiner Film werden sollte, wurde Kult, nicht erst nach dem Untergang des Sozialismus. "Gustlik" Franciszek Pieczka erinnert sich, wie der Abenteuerfilm zu etwas geriet, das man "politisch-pädagogisch zu nutzen" begann. Junge Pioniere spielten Panzersoldaten, die Darsteller waren Stars, die überall erkannt wurden Bei der Exhumierung von Leichen sowjetischer Häftlinge in einem früheren KZ wurden die "Panzersoldaten" und ihr Hund als Ehrengäste geladen. Pieczka: "Als wir auf einem Panzerfahrzeug auf das Lagergelände rollten, ging ein Schrei durch die Menge". Die anwesenden Sowjetgeneräle seien schlagartig zu Statisten geworden.

Heldenstatus, den die Darsteller nie wollten. So möchte Janusz Gajos, einst der blonde, strahlende Janek und heute einer der berühmtesten Schauspieler Polens, gar nicht mehr über seine Zeit als Panzerkommandant sprechen. Ganz im Gegensatz zu vielen Fans: Die bekennen sich offen zu ihrer Kindheitsschwärmerei: Mit Kapuzenjacken, auf den "Rudy 102" steht. Oder T-Shirt mit dem Slogan "Mein Hund heißt Scharik".