Kult seit 60 Jahren: «Der Dritte Mann» und Wien
Wien/dpa. - Kein anderer Film hat eine Zeitepoche so absolut detailgetreu nachgezeichnet wie dieses schwarz-weiße Meisterwerk, das 1999 zum besten britischen Film des 20. Jahrhunderts gewählt wurde. Und kaum ein anderer Film hat einen so ausgefallenen Soundtrack wie das von Anton Karas auf einer Zither gespielte «Harry Lime Theme». Es wäre heute auch nur schwer nachzuvollziehen, wie die Stadt Wien mit ihren vier Besatzungszonen nach dem Zweiten Weltkrieg aussah, hätte es den «Dritten Mann» nicht gegeben. Am 6. Januar vor 60 Jahren feierte der Kultfilm Deutschland-Premiere.
Wien ist sich der Einzigartigkeit des Streifens bewusst und tut viel, um den Mythos zu vermarkten - sehr zur Freude der unzähligen Fans, die jährlich nur wegen des «Dritten Manns» in die Stadt an der Donau reisen. Viele sind geradezu besessen von dem Film, schauen ihn wieder und wieder und sind sich sicher, bei jeder Vorführung noch etwas Neues, ein bisher nicht beachtetes, winziges Detail zu entdecken. Im Burgkino am zentralen Opernring wird «The Third Man» zu diesem Zweck seit 15 Jahren gleich drei Mal die Woche im englischen Original gezeigt.
Seit 1988 gibt es auch den «Dritte Mann Walk» zu den Originalschauplätzen und von Mai bis Oktober eine geführte Tour durch die Wiener Kanalisation, wo der Showdown samt Verfolgungsjagd des Orson Welles alias Harry Lime stattfand. «Der Film ist noch immer die beste Dokumentation, die wir über die Nachkriegszeit in Wien haben», sagt Brigitte Timmermann, die die Touren leitet und den Wälzer «Der Dritte Mann. Auf den Spuren eines Filmklassikers» verfasst hat.
Dabei wurden viele Szenen in einem Londoner Studio gedreht, vor allem auch, weil Orson Welles echte Starallüren an den Tag legte und Regisseur Reed immer wieder mit Extrawünschen konfrontierte. «Es wurde dann auf jedes kleinste Detail geachtet», erklärt Timmermann. «Die Crew wollte sichergehen, dass alle dachten, jede einzelne Minute sei in Wien gedreht worden.»
In der Nähe des Wiener Naschmarktes gibt es seit 2005 zudem das «Dritte Mann Museum», das von Gerhard Strassgschwandtner und seiner Frau Karin Höfler geleitet wird. Strassgschwandtner ist eingefleischter Fan des Streifens und sammelt seit 13 Jahren alles, was auch nur im entferntesten mit dem Filmklassiker zu tun hat. Unter anderem nennt er die Original-Zither, auf der Anton Karas die Titelmelodie eingespielt hat, sein eigen. «Wir haben mittlerweile ein Netzwerk von "Spionen" in der ganzen Welt, von Australien bis Frankreich, die uns informieren, wenn es etwas Neues zu kaufen gibt», sagt Höfler.
Seltsamerweise sind die Österreicher selbst am allerwenigsten am «Dritten Mann» interessiert: «Unsere Besucher kommen hauptsächlich auch den USA und Großbritannien, dann aus Deutschland, Spanien und Skandinavien, aber es sind nur wenige Österreicher dabei», erklärt Höfler. In vier thematisch geordneten Räumen kommen die Fans voll auf ihre Kosten und überall - auf Filmplakaten, Langspielplatten, Büchern und Fotos - blickt ihnen ein düsterer Orson Welles entgegen.
Der Hollywoodstar spielt im «Dritten Mann» einen gerissenen und charmanten Schwarzmarkthändler, Cotton seinen besten Freund, den Western-Autor Holly Martins. Als dieser auf Einladung Limes nach Wien kommt, muss er feststellen, dass sein Freund bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen ist. Ein britischer Major eröffnet ihm nach der Beerdigung, Lime sei in dunkle Geschäfte verwickelt. Martins stellt daraufhin selbst Nachforschungen an und entdeckt schließlich, dass Lime ein Penicillinschieber ist, der sich durch einen vorgetäuschten Tod den Nachforschungen der Polizei entziehen wollte. Schließlich hilft Martins bei der Fahndung nach seinem Freund, der am Ende im Kanalisationsnetz der Stadt gestellt und erschossen wird.
Mit von der Partie sind auch die bildhübsche Alida Valli in der Rolle der Geliebten von Harry Lime, sowie zahlreiche deutsche und österreichische Schauspieler wie Paul Hörbiger, Erich Ponto, Hedwig Bleibtreu und Ernst Deutsch. Das Drehbuch stammt von Carol Reed in Zusammenarbeit mit dem britischen Schriftsteller Graham Greene, der den Stoff später zu einem Roman verarbeitete. Brigitte Timmermann glaubt nach eingehenden Recherchen, dass die Beziehung zwischen Lime und Martins die Beziehung zwischen Greene und dem Meisterspion Kim Philby widerspiegelt, mit dem er befreundet war und durch den er Einsicht in die Welt der Geheimdienste erhielt.
Wer in Wien nach Kino, Kanal-Tour und Museumsbesuch noch immer nicht genug vom «Dritten Mann» hat, der kann ab dem 23. Januar im Wiener Schauspielhaus das Theaterstück «Harry Lime lebt! Und das in diesem Licht!» des deutschen Autors Jörg Albrecht bewundern. Der Titel ist gut gewählt, denn in Wien, da lebt der Oscar gekrönte «Dritte Mann» tatsächlich weiter, und das seit 60 Jahren.