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Kraftwerk Vockerode Kraftwerk Vockerode: Fantasien für einen Koloss

Von Günter Kowa 25.07.2006, 17:51

Halle/MZ. - Wenig realistisch erscheinen solche Ideen, weil eine Zukunft für das Bauwerk derzeit nicht nur unwahrscheinlich erscheint, sondern auch politisch nicht gewollt ist. Das hat Kultusminister Jan-Hendrik Olbertz dem Unternehmen klargemacht, als er eine Anfrage ablehnte, für den Wettbewerb die Schirmherrschaft zu übernehmen. (Die MZ berichtete.) Damit verbunden war die für alle überraschende Mitteilung, dass schon mit dem Abriss der vier bildprägenden Schornsteine im Jahr 2001 der Denkmalschutz für das Bauwerk aufgehoben worden sei. Ein Abriss käme dem Land gelegen. In der Vereinbarung mit der Unesco, das Dessau-Wörlitzer Gartenreich ins Weltkulturerbe aufzunehmen, wird der Kraftwerksbau der 30er und 50er Jahre als "Störung" bezeichnet.

Vertikale Stadt

Doch Vattenfall verweist nicht nur auf eine lange Liste ehemaliger Kraftwerke aus seinem Bestand, die eine neue Nutzung fanden, sondern hält den Bau in Vockerode auch für einen potenziellen Publikumsmagneten, der dem Gartenreich neue und andere Publikumsschichten erschließen könnte. Noch "drei, vier Jahre", so heißt es, will man jedenfalls nach einer Lösung suchen, bevor man das Vorhaben endgültig aufgibt.

Nun wirkt da die Vision von Rico M. Oberholzer und Sarah Miebach, die für die Hochschule der Künste in Berlin den ersten Preis holten, wie das genaue Gegenteil eines realistischen Zukunftskonzepts. Ihre "Symphonie einer neuen Welt" kommt nicht ohne Größenwahn daher. Hinter dem Kraftwerk, das eine Art gotisch aufstrebende Fassade bekommt, reckt sich ein Hochhaus auf schlanken 600 Metern in die Höhe, so wollen es die Autoren. Die Bürger von Vockerode sollen sich darin in einer Art vertikalen Stadt wiederfinden, das Kraftwerk soll ein Gewächshaus werden.

Ernst gemeint ist das natürlich nicht, vielmehr bewegen sich die Autoren auf der Ebene einer Architekturfantasie, zusammengemischt aus Anregungen bei Schinkel und Mies van der Rohe. Es ist ein Entwurf, der sich so radikal von jeder Kosten-Nutzen-Planung entfernt, dass er nur noch als eine Haltung, als ein gestalterischer Wille wahrgenommen wird. Und dafür wird er wohl auch belohnt.

Im übrigen halten sich die Nutzungsideen bei den 100 Beiträgen im Wettbewerb eher an das Erwartbare. Computersimulationen zeigen Trubel in Sport- (und Extremsport-)Zentren, in Wasserparadiesen wie Jacht-Marinas oder Taucherwelten. Man träumt von Ausbildungszentren und Kunstschulen, Pflanzenforschungslaboren und natürlich Anlagen zur Entwicklung alternativer Energien. Es fehlen nicht die Freizeit- und Safariparks, aber auch Museen oder gar "kontemplative Wandelhallen" als Gedenkorte der schrumpfenden Städte sind im Angebot. Und zuletzt auch noch Gefängnisse.

Zielgruppe Sportvereine

Als realistisch eingeschätzt werden der zweit- und drittplatzierte Beitrag jeweils von der Uni Weimar, und beide zielen auf gehobenen Kommerz in Form eines Casinos mit "zwielichtigen Spielstätten" oder eines Kaufhauses für Produkte der Manufaktum-Klasse. Doch auch die Studenten der Hochschule Anhalt, wiewohl ohne Preis, machten auf einen womöglich zukunftsweisenden Umstand aufmerksam. Im Umkreis von 100 Kilometern sind zigtausende Menschen in ungezählten Sportvereinen organisiert - und die könnten Vockerode vielleicht als Clubhaus der besonderen Art entdecken.

Ausstellung in Berlin, im Abspannwerk Humboldt, Sonnenburger Straße 73, bis 13. August, Di-So 11-18 Uhr.