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Klaus FiggeKlaus Figge: Das Zwiegespräch der Waffen

Von ANDREAS HILLGER 14.09.2011, 18:31

DESSAU/MZ. - Zwischen den Sängern und Tänzern, den Schauspielern und dem Inszenierungsteam wirkt der ältere Mann zunächst wie ein Zaungast. Er sitzt am Rand der Bühne, ruft gelegentlich ein kurzes Stichwort in die Menge und beobachtet scharf, wie sich die Jets und die Sharks in die Haare geraten. Dann aber springt er plötzlich auf, läuft zu einem der Darsteller und drückt ihm einen Stab in die Hand. "Schlag mir den mal auf den Kopf", sagt Klaus Figge. Und dann lässt er sich fallen, als wäre er schwer getroffen. "So muss das aussehen ..."

Als dieser Mann sein Diplom an der Sporthochschule Köln absolvierte, waren die meisten Mitwirkenden an der Dessauer "West Side Story" noch gar nicht geboren. Drei Jahre später, 1971, wurde er zum Lehrbeauftragten für das Fach Bühnenkampf an die Folkwang-Universität in Essen berufen. Und inzwischen ist sein Name zum Markenzeichen für spektakuläre Aktionen auf deutschen Theaterbühnen geworden. Wann immer Macbeth gegen Macduff kämpft, wo immer sich Tybalt mit Mercutio duelliert oder andere Streitigkeiten auszufechten sind, ist der Mann vom Jahrgang 1942 die erste Wahl.

Allein Shakespeares berühmteste Fechtszene - den tödlichen Kampf zwischen Hamlet und Laertes - hat er in zwei Dutzend Varianten choreografiert, am Anhaltischen Theater Dessau unterstützt er nun auch den neuen Schauspieldirektor Niklas Ritter bei dessen "Hamlet". Der erste Hauptdarsteller, mit dem er einst die Rolle des Dänenprinzen probierte, hieß übrigens Bruno Ganz. Das war 1982 an der Berliner Schaubühne, Regisseur war Klaus Michael Grüber - und seither hat Figge mit Martin Wuttke und Angela Winkler, Devid Striesow und Guntram Brattia an diesem Waffengang gearbeitet.

Fällt einem da überhaupt noch etwas Neues ein? "Natürlich", sagt Klaus Figge. Schließlich bringe jeder Darsteller seine eigenen physischen Voraussetzungen mit, die man zunächst analysieren und dann möglichst organisch in den Ablauf integrieren müsse. Und dann sei ja auch die Lesart des Regisseurs immer wieder anders - was nicht zuletzt dazu führt, dass Figge auch schon Nahkampf-Gefechte mit Plastikflaschen oder Maschinenpistolen inszeniert hat. Dass er seit Jahrzehnten für die besten Theatermacher arbeitet, hält ihn sichtlich jung: Selten findet man einen Mann, der so selbstverständlich über alte Granden wie über junge Wilde spricht.

Auch Fechten, sagt Klaus Figge, sei "eine Form von Dialog" - wobei es darauf ankomme, dass es gefährlich aussieht, aber nicht ist. Zuerst müsse man die Vorgänge so häufig wiederholen, dass sie den Kämpfern in Fleisch und Blut übergehen. Und erst wenn die Bewegungen automatisch abrufbar wären, könne man das Tempo steigern - bis man zum Schluss an der Grenze des körperlich Leistbaren spielt.

Wie das aussehen kann, hat er beispielhaft in Leander Haußmanns Bochumer Inszenierung von "Viel Lärm um nichts" gezeigt - ein rasantes Massengefecht, das Komik unmittelbar mit Akrobatik verband und das sich mit dieser atemraubenden Geschwindigkeit wohl nur in Szene setzen ließ, weil Figge mit den beteiligten Schauspiel-Studenten intensiver als im normalen Stadttheater-Alltag arbeiten konnte. Wenn man ihn auf diese Sternstunde anspricht, dann leuchten die Augen des bescheidenen und freundlichen Herrn - und er erzählt, dass er unlängst sogar selbst wieder auf der Bochumer Bühne gestanden hat.

In der Inszenierung von "Cyrano de Bergerac" konnte Valvert, der Widersacher des Dichters mit der imposanten Nase, verletzungsbedingt nicht kämpfen. Also sagte der Schauspieler, wenn es zum Duell kommen sollte: "Moment, da hol' ich meinen Papa!". Und dann trat eben Klaus Figge auf, um sich mit Armin Rohde zu duellieren - einem der ungezählten Schauspieler, die in den letzten 40 Jahren durch seine harte Schule gegangen sind.

Denn obwohl der Kampf-Choreograf seit Jahren für alle großen Bühnen ebenso wie für die Ruhr-Triennale, die Wiener Festwochen oder die Salzburger Festspiele arbeitet, ist er der Folkwang-Universität immer treu geblieben. Noch heute unterrichtet der Mann, der neben Sport auch Geschichte studiert hat und in seiner Jugend nicht nur focht, sondern auch boxte, pro Jahr 30 bis 40 Studenten. Und so ist es kein Wunder, dass man bei Nennung seines Namens in deutschen Theaterkantinen fast immer mindestens einen Bewunderer findet.

Auch die Dessauer Künstler, die sich mit Figge auf die ersten Premieren der aktuellen Spielzeit vorbereiten, geraten nach der Probe ins Schwärmen - ungeachtet der blauen Flecke und Beulen, die im Eifer des Gefechts trotz aller Vorsicht unvermeidlich sind. Der Trainer, sagt ein Tänzer, zeige selbst ihm noch Muskelpartien, die er bislang nicht kannte. So lernt man, sich zu schinden, damit am Ende alles mühelos und lässig aussieht - egal, ob in einem Stadtteil von New York oder auf Schloss Helsingör.

Premiere "West Side Story" am 30. September, "Hamlet" am 14. Oktober