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Auftakt zur Abschiedstour Kiss Konzert Leipzig Abschiedstour

Von Mathias Schulze 28.05.2019, 11:26
Gene Simmons
Gene Simmons ZB

Leipzig - „Es muss nicht schön, sondern nur unglaublich laut sein.“ Als die Vorband The New Roses die Fans kurz vor 20 Uhr zum Mitsingen auffordert, wackeln schon einige schwarze Rocker-Perücken über der weißen Gesichtsschminke in der rappelvollen Arena Leipzig.

Die Fans wissen, was sie wollen. Und sie bekommen es. „Psycho-Circus“ heißt ein Kiss-Album aus dem Jahr 1998. Bevor sich die US-amerikanische Hard-Rock-Band mit Paul Stanley, Gene Simmons, Tommy Thayer und Eric Singer die Ehre gibt, flattern noch Werbespots über die Leinwände: Autos, Whiskey und Versicherungen. Die Wiederholungen werden mit gnadenlosen Pfiffen bedacht, es sind Bekundungen, die getränkt sind in Ablehnung und heißer Erwartung.

Kiss starten in Leipzig ihre Abschiedstour

Dann endlich zoomt auf den Leinwänden eine Kamera vom Weltall aus direkt in den Backstage-Bereich der Arena, die aktuelle Besetzung der Band, die zwischen 59 und 69 Jahre jung ist, eilt auf die Bühne. Die „End of the Word“-Tour soll den Abschied einer der erfolgreichsten Rock-Bands aller Zeiten markieren. Entsprechend ekstatisch ist der Einstieg in eine gut zweistündige Rock’n’Roll-Show der Extraklasse.

Im dunklen Rund fahren Lichtkegel auf und ab, Böller knallen wie Peitschenhiepe, Feuer allerorten, der Song „Detroit Rock City“ gibt gefolgt von „Shout It Out Loud“ eine extrem hohe Schlagzahl vor, die zum Ende, bis zum Exzess gehalten wird. Der Schlagzeuer Eric Singer sitzt erhöht auf einem Podest, dessen Optik irgendwo zwischen einem Raumschiff und einer Hobby-Motorenwerkstatt changiert.

Eine Metallplatte am hinteren Ende der Bühne unterstreicht den futuristischen Stil des Bühnenbildes. Da zischen die Laserstrahlen, da schlabbert die Zunge von Simmons aus dem schwarz-weiß geschminkten Gesicht. Natürlich wird diese Geste immer wieder auf die Leinwände übertragen, es ist, als würde Simmons damit alle fangen und einverleiben wollen. Die heraushängende Zunge als Zeichen der coolen Überlegenheit, fliegt das bespuckte Handtuch ins Publikum, scheint der Jubel bis in die Ruhmeshalle des Rock’n’Roll in Ohio zu reichen.

Kiss gibt es seit 1973 - jetzt ist bald schluss

Kiss, gegründet 1973, lässt alte Live-Aufnahmen über die Leinwände laufen. Heute wie damals trägt Sänger Stanley unterm dem Kettenhemd sein beharrtes Adamskostüm, heute wie damals funkeln seine Augen hinter der Maske, heute wie damals steckt Simmons in einer ritterähnlichen Rüstung. In Plateauschuhen lässt sich schlecht tänzeln, also bewegen sich die beiden zusammen mit dem Gitarristen Thayer eher staksend und eckig. Zusammen mit den Kostümen ergibt das eine gelungene Symbiose.

Kiss begeistern als Kult-Roboter, Hard-Rock-Maschinen und Pyromanen-Zombies, deren Maskierungen und Hits ins Zeitlose führen. Stanleys krächende Stimme führt über „War Machine“ zu „God of Thunder“, über „Cold Gin“ zu „I Love It Loud“. Zwischendrin wird das Mikrofon zum Lasso, die Bühne schimmert in roten, blauen oder grünen Tönen. Im Laserstrahlen-Licht sorgen langanhaltenden Gitarren- und Schlagzeugsoli, die sich bis ins Mark fräsen, für einen tranceartigen Zustand. Meditation im Trommelgewitter.

Derweil herrscht Eric Singer über all das Pfeifen, Johlen und Klatschen, seine Schlagzeug-Soli steuern das Tempo des Publikums. Singer als Dirigent der Massen, es ist, als würde man zur Erleuchtung geprügelt. Hier ein Tusch, da ein Böller-Kanonenschlag. Und noch einmal alles von vorn. Natürlich spielt auch Kiss mit dem Phallussymbol Gitarre, wunderbar wie die Instrumente synchron in die Höhe gerissen werden.

Zunge raus und viel Schminke - das ist Kiss

Zärtlich begegnen sich auch mal die Gründungsmitglieder Stanley und Simmons, dann leckt die Zunge über die Schminke des Gefährten. Auf den Leinwänden ziehen dunkle Wolken auf, die Sonne erlischt, mitten in der Apokalypse schießt Feuer aus Bass und Gitarre, Simmons läuft Blut aus dem Mund, die Hitze des pyrotechnischen Spektakels ist bis in die letzten Reihen zu spüren.

Als Stanley sich durch die Luft zur Bühnenmitte fliegen lässt, ist es, als würde der Jubel gleich das Dach der Arena abheben. Dort wird er dann auch gespielt, dieser Kiss-Hit namens „I Was Made For Loving You“ aus dem Jahr 1979. Live kann man Zeuge davon werden, was genau darüber bestimmt, ob ein Lied zum welterobernden Song wird. Wenn Kiss zum „Hmm, yeah“, zum „Do, do, do“ und zum „´Cause girl, I was made for you“ anhebt, flutet eine große und unbestechliche Gegenwärtigkeit in Bauch und Seele. Der Kopf hält still, jetzt, in diesen Sekunden, ist alles richtig, um keinen Preis der Welt würde man diesen Moment eintauschen wollen.

Minutenlang schießt es anschließend aus den Konfettikanonen. Luftballons, Laserstrahlen und Feuerwerke rahmen noch einmal zusammen mit den Song „Rock and Roll All Nite“ ein inniges Abschiednehmen. Im Publikum fließen Tränen. Kiss zeigt noch einmal, dass unglaublich laut auch unglaublich schön sein kann. (mz)