Kinostart: 04. September Kinostart: 04. September: «Mein Leben ohne mich»

Hamburg/dpa. - Ann ist 23, hat zwei kleine Mädchen, einen jungenEhemann und haust mit ihrer Familie in einem Wohnwagen. Arm, aberglücklich. Nachts putzt sie in der Uni, tagsüber steckt sie imKleinkrieg mit ihrer frustrierten Mutter gleich nebenan. Nach einemSchwächeanfall erfährt Ann, dass sie an Krebs leidet und noch zwei Monate zu leben hat. Irrtum ausgeschlossen: Dies könnte der Stoff für ein tränenreiches Rührstück sein. Stattdessen ist es der spanischenRegisseurin Isabel Coixet gelungen, ein kluges, sehr stilsicheres,bisweilen sogar humorvolles Melodram in Szene zu setzen.
Wie geht es weiter, wenn alles aus ist? Plötzlich steht da einedurchsichtige Wand zwischen Ann (faszinierend: Sarah Polley) undihrem bisherigen Leben. Wie ein Film wirkt der stressige Alltag, einespukhafte Inszenierung, die mit ihr nichts mehr zu tun hat. Annbeschließt, niemandem etwas von ihrer Krankheit zu erzählen. Da willsie allein durch. So sitzt sie im Café und schreibt eine «To Do»-Liste für die letzten zwei Monate. Höchste Priorität: eine neueMutter für ihre Familie finden, ihre Nachfolgerin. Mit aller Kraftmacht sich die Todkranke an diese Aufgabe. Oder sie geht ganzhellsichtig durch die Straßen, betrachtet noch einmal die Auslagender Geschäfte, die Dinge, die sie nie mehr kaufen wird.
In vielen Sequenzen wirkt dieser Film wie ein Traum - in einerSzene beginnen fremde Passanten im Supermarkt miteinander zu tanzen.«Niemand ist normal. Es gibt keine normalen Menschen», sagt Anneinmal. Die Kanadierin Sarah Polley («Das süße Jenseits») spieltdiese Frauenfigur, die sich selbst abhanden kommt und trotzdem immernur an andere denkt, mit bewundernswerter Intensität undAusstrahlung. Eine ganz große Vorstellung, und auch die anderenHauptdarsteller überzeugen: Amanda Plummer gibt eine beherztePutzfrauenkollegin, Deborah Harry als melancholische Mutter ist starkin ihrer Verzweiflung, Scott Speedman glaubhaft als kumpelhafterEhemann und Vater.
Und dann ist da noch der geheimnisvolle, weit gereisteLandvermesser Lee (Mark Ruffalo) - ein intellektueller Grübler, derin einem leeren, nur mit ein paar Büchern möblierten Zimmer lebt. Annhat eine Affäre mit diesem stillen Typen, weil sie sich laut ihrerListe noch einmal verlieben will. Und dann ist da plötzlich viel mehrzwischen den beiden.
Der spanische Regiestar Pedro Almodóvar («Sprich mir ihr») hatdieses hinreißende Drama produziert, und seine Affinität zuMelodramen lässt sich nicht leugnen. Trotzdem wirkt Coixets Drama injeder Sequenz eigenständig. Nur manchmal rutscht «Mein Leben ohnemich» etwas ins Prätentiöse ab, da wirkt dann dieser langsameAbschied fast zu gediegen. Am Ende hat Ann eine neue Mutter für diekleinen Kinder gefunden. Sie selbst liegt im Bett, schon geschwächt,und betrachtet durch einen Perlenvorhang «ihre» neue Familie. Einhöchst schmerzhafter und zugleich hoffnungsvoller Moment.