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Der erste Wagen ist von hier Kinderwagen aus Zeitz: Ernst Albert Naether erfand in Zeitz den Kinderwagen

Von Andreas Montag 31.08.2018, 10:00
Der Porsche unter den Kinderwagen
Der Porsche unter den Kinderwagen Andreas Montag

Zeitz - Den ersten vierrädrigen Untersatz hat man nicht selbst gesteuert, sondern die Frau Mama. Heute sieht man aber immer öfter auch Väter als Lenker des Kinderwagens. Und was viele Menschen im Osten Deutschlands außerdem generationsübergreifend eint: Ihr erster „Schlitten“, der sorgsam ausgewählt, geputzt und mit ebenso großem Stolz vorgezeigt wurde wie man jetzt den traktorgroßen SUV präsentiert, stammte mit großer Wahrscheinlichkeit aus der alten Residenzstadt Zeitz im Burgenlandkreis.

Dort erinnern ein Museum im Schloss und jüngst noch eine Sonderausstellung an die großen Zeiten, von denen freilich nicht viel außer der Erinnerung geblieben ist. Aber einen Grund zum Stolz auf die Heimatregion kann man allemal darin finden - und vielleicht auch den Mumm, selbst etwas in die Hand zu nehmen und sein Glück zu versuchen.

Zeichen der Zeit

Denn alles, was zu DDR-Zeiten unter dem Markennamen Zekiwa (wie Zeitzer Kinderwagen) über die Gehsteige der DDR und ihrer Bruderstaaten ratterte und schaukelte, geht auf einen pfiffigen Handwerker zurück. Ernst Albert Naether hieß der Mann, der in der beginnenden Moderne, am Vorabend des industriellen Zeitalters zur Mitte des vorletzten Jahrhunderts die Zeichen der Zeit erkannte.

Die Städte wuchsen, Bürgertum und Arbeiterschaft mussten und wollten mobiler sein - auch unter Mitnahme der Jüngsten. Während die Frau ihrem Mann das Mittagessen in die weiter entfernt liegende Werkstatt oder Fabrik brachte, konnte der Nachwuchs ja nicht unbeaufsichtigt bleiben. Außerdem war es schön, an freien Tagen ganz in Familie zu flanieren.

Da war das Baby im Wagen am allerbesten aufgehoben. Es kam an die Luft und konnte bestaunt werden - ganz so, wie es heute noch ist. Sofern sich junge Leute für das Kinderkriegen und nicht für die Anschaffung von Kleinhunden entschieden haben. Das sind Zeichen einer anderen Zeit.

Naether indes, der Vater des Kinderwagens, wurde 1825 in Zeitz geboren. Nach einer Stellmacherlehre in Naumburg ging er, wie damals üblich, auf Wanderschaft, um seine Fähigkeiten bei anderen Meistern zu erweitern und sein Weltbild an dem anderer Menschen und Länder zu formen.

Über Halle, Breslau und Warschau tippelte Naether bis nach Russland. 1846 heimgekehrt nach Zeitz, baute er zunächst große Wagen und Schlitten in der väterlichen Werkstatt, bis ihm vier Jahre später die Idee kam, die sein Leben verändern und prägen sollte. Warum, sagte sich Naether, soll man Kinder nicht fahren können? Also packte er einen Weidenkorb auf das Gestell eines Bollerwagens und fertig war die Laube - erst mal zum Ziehen. Das Schieben kam später.

Di-So sowie an gesetzlichen Feiertagen 10-16 Uhr

Jan. u. Febr. geschlossen;

Sonderschau bis zum 31. Oktober

1852 wanderte der stolze Erfinder mit einer Kette aneinandergebundener Wagen aus seiner Produktion zur Messe nach Leipzig. Denn, wie er richtig erkannt hatte: Was nützt die beste Idee, wenn sie die Grenzen der Heimatstadt nicht überschreitet? Schon unterwegs, wird in dem anschaulich und liebevoll gestalteten Videofilm in der Ausstellung berichtet, hat Naether die ersten seiner Kinderkutschen abgesetzt, das Erstaunen über die Erfindung war allgemein - und die Überzeugungskraft der Vehikel groß. In Leipzig hat Naether sämtliche Wagen abgesetzt und kehrte, die Taschen voller Geld und Bestellungen, heim nach Zeitz.

Kapital genutzt

Und weil er kein Hans im Glück war, dem alles durch die Finger rinnt, sondern ein tüchtiger Handwerker, hat er sein Kapital genutzt und in Entwicklung wie Herstellung immer noch besserer Modelle investiert.

1946 wurde das Unternehmen enteignet und in den VEB Zekiwa überführt. Nach der Zeitenwende von 1989/90 ist schließlich noch eine Vertriebsfirma als Rest vom Wirken Naethers und der Zekiwa-Fabrikation geblieben. Die guten Jahre kann man im Museum des Schlosses Moritzburg in Zeitz in betörender Produktvielfalt bewundern - von den Anfängen bis zuletzt. Und zu den großen Vitrinen des Deutschen Kinderwagenmuseums gesellt sich jüngst noch eine Sonderschau.

„Bubirad Sausewind“ zeigt Stücke aus der Naetherschen Kinderfahrzeugproduktion, gesammelt von Eckart Holler - darunter Tretautos aus den 1930er Jahren, die das Herz manches längst erwachsenen Knaben höher schlagen lassen dürften. (mz)

Kindertraum: Tretauto aus der Produktion der Firma Naether, um 1930
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A. Montag
Ernst Albert Naether, um 1890 gemalt von Oskar Michaelis (Ausschnitt)
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A. Montag
Der Chic der 1960er Jahre ist auch heute noch anzutreffen.
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dpa