Kate Bush Kate Bush: «Ich will das nicht»

Halle (Saale)/MZ. - Vier Oktaven umfasst ihre Stimme, aber das stellt sie während des Gesprächs nicht unter Beweis. Nur wenn sie lacht, oder vielmehr giggelt, was sie oft macht, schrauben sich die Töne in andere Höhen und man bekommt eine Ahnung von der Ausdruckskraft dieser Stimme. Die Person dazu bekommen wir während des Interviews nicht zu Gesicht: Kate Bush, 53, spricht mit den Medien nur am Telefon. Wenn überhaupt. Ihre letzte und bislang einzige Tournee liegt 32 Jahre zurück und die Sängerin hat nicht vor, wieder Konzerte zu geben. Weil sie sich lieber aufs Komponieren konzentrieren will. Sagt sie. Vor kurzem ist ihr neues Album "50 Words For Snow" erschienen, an dem Stephen Fry und Elton John mitgewirkt haben. Und die Feuilletons haben genussvoll all die Schnee-, Eis- und Kälte-Metaphern in den Songs analysiert, in dem Versuch zu ergründen, was uns diese Künstlerin wohl alles damit sagen will.
Das Gespräch führte Martin Scholz.
Mrs. Bush, es gibt ganz unterschiedliche Wahrnehmungen von Ihnen in der Öffentlichkeit, von der genialen Künstlerin bis zur Eigenbrötlerin, welche davon ärgert Sie am meisten?
Bush: Weiß nicht. Es gibt ja so viele Zerrbilder von mir - verständlicherweise muss ich wohl hinzufügen. So ist das halt, wenn man sich, nur selten in der Öffentlichkeit zeigt. Viele Leute sehen in mir wohl deshalb die seltsame, rätselhafte Einsiedlerin.
Und das sind Sie nicht?
Bush: Nein. Zumindest glaube ich, dass ich nicht so bin. Der Punkt ist: Ich wollte nie berühmt werden.
Das sagen Stars oft, wenn ihnen die Aufmerksamkeit zuviel wird.
Bush: Aber für mich war Popularität nie ein Antrieb. Mir ging es immer nur darum, kreativ zu sein. Ich möchte, dass meine Musik in der Öffentlichkeit wahr genommen wird. Ich habe aber kein großes Interesse daran, mich selbst zu promoten. Ich gebe kaum Interviews, habe immer wieder sehr lange Pausen zwischen den Alben gemacht. So gesehen ist es umso erstaunlicher, dass ich heute überhaupt noch da bin, dass meine Musik erfolgreich ist.
Wenn Sie mit den Medien sprechen, dann nur am Telefon. Ihnen ist schon klar, dass Sie damit das Zerrbild, wie Sie es nennen, der Unnahbaren bestätigen, oder?
Bush: Manchmal gehe ich auch zu Rundfunksendern, da sitze ich dann leibhaftig. Aber das kommt selten vor. Diese Medienzurückhaltung ist aber keine Marotte von mir, ich bin einfach sehr mit meiner Musik, mit den Videos, die ich dazu mache, beschäftigt. Den Rest der Zeit verbringe ich mit meiner Familie und meinen Freunden. Nach diesem Telefongespräch kann ich wieder an die Arbeit gehen. Ich muss nicht zum Flughafen oder sonstwohin, um wieder nach Hause zu kommen. All das frisst soviel meiner Zeit.
Kennen Sie den Roman "Die Entdeckung der Langsamkeit"?
Bush: Nein, aber was für ein wunderbarer Titel. Gefällt mir sehr.
Das Buch handelt von dem englischen Seefahrer und Nordpolforscher John Franklin, der im 19. Jahrhundert zwei Arktisexpeditionen unternimmt, der aber alles etwas langsamer macht, als alle anderen und daraus eine Art Lebensstil entwickelt. Das passt eigentlich ganz gut zu Ihnen, oder?
Bush: Das klingt auf jeden Fall so, als müsste ich das Buch unbedingt lesen. Es erinnert mich an die Fabel von Hase und Igel. Der Hase ist zwar eigentlich schneller, aber am Ende gewinnt doch der vermeintlich langsamere, aber schlauere Igel.
Und der Igel sind Sie?
Bush: Wenn Sie wollen.
Sie haben es in Ihrer Karriere oft langsam angehen lassen, seit Ihrem letzten Album sind sechs Jahre vergangen. Haben Sie in diesen Auszeiten keine Angst, in Vergessenheit zu geraten?
Bush: Doch. Immer wieder. Zwischen meinen Alben "Red Shoes" und "Aerial" gab es ja sogar eine zwölf Jahre lange Pause. Da habe ich mir schon Sorgen gemacht, ob es danach noch Leute gibt, die sich für mich interessieren. Andererseits: Wenn sich Menschen in zehn Jahren noch meine Alben anhören, wird es ihnen egal sein, ob dazwischen mehrere Jahre Pause lagen oder nicht. Dann wird sie interessieren, ob die Musik gut ist oder nicht. Vorausgesetzt, dass es in zehn Jahren überhaupt noch Alben als Kunstform gibt.
Sie beginnen Ihre neue CD mit dem Satz "The world is so loud". Sie tragen das allerdings weniger als Zustandsbeschreibung vor. Sehnen Sie sich nach mehr Ruhe?
Bush: Ich spüre wie viele diesen ansteigenden Druck im Alltag. Wir führen heute doch alle mehr oder weniger ein Leben auf der Überholspur. Ständig vernetzt, immer erreichbar. Das ist bizarr. Das Beste wäre womöglich, ab und zu eine Art Asyl in einem Kloster zu suchen.
Das machen inzwischen nicht nur gestresste Manager - die Auszeit im Kloster ist fast schon eine Art Geschäftsmodell im Wellness-Tourismus geworden.
Bush: Mag sein. Was ja nur ein Beleg für meine These wäre, oder? Aber das Gejammer nützt nichts. Wir können die Zeit nicht mehr zurückdrehen. Mein Eindruck ist jedoch, dass unsere Speicher überlaufen und sich viele fragen, wenn das Tempo noch zunimmt, wenn wir noch mehr Dinge gleichzeitig machen sollen, als wir es ohnehin schon tun - wie sollen wir das aushalten?
Sind Sie eine Fortschritts-Skeptikerin?
Bush: Na ja. Bevor es Handys gab, hatten wir immerhin noch die Möglichkeiten, uns mal Auszeiten zu nehmen. Wir waren nicht die ganze Zeit erreichbar. So etwas ist heute völlig unvorstellbar.
Ihre neuen Lieder wirken wie der Sound der Entschleunigung in unruhigen Zeiten. Ich hab mal versucht, sie auf dem iPod während einer Busfahrt zu hören. Das funktionierte gar nicht, weil die Umgebung zu laut war, alle Nuancen gingen verloren. Haben Sie so etwas wie Anti-iPod-Musik komponiert?
Bush: Das ist jetzt mal eine kühne Interpretation. Wobei ich, wenn ich Lieder schreibe, nicht an die Hardware denke, auf der man sie hören kann.
Hören Sie denn Musik auf dem iPad, iPod oder Smartphones?
Bush: Nein, ich besitze sowas gar nicht. Der Klang darauf ist meist nicht gut. Wenn ich in einem Meeting bin, oder mich mit anderen treffe, kann ich es nicht ausstehen, wenn ständig ein Handy klingelt. Und wenn ich im Studio arbeite, will ich mich nicht parallel dazu einer Flut von E-Mails oder SMS-Botschaften erwehren müssen. Wissen Sie, ich wollte mit meinen neuen Songs ein Gefühl von Weite, Grenzenlosigkeit vermitteln. Die Metaphern von Schnee und Winter verstärken für mich dieses Gefühl. Haben Sie schon mal darüber nachgedacht, wie Schnee klingt?
Nicht wirklich.
Bush: Schnee klingt nach Stille. Ein eingefrorener Klang. Was Sie von der Anti-iPod-Musik gesagt haben, macht mich jetzt doch etwas nachdenklich. Es wäre natürlich schlecht, wenn meine Musik auf einem iPod oder meinetwegen während einer Autofahrt, gar nicht funktionieren würde.
Ich meinte damit, dass man die Nuance in Ihren Songs nicht beiläufig hören kann, während man gerade zig andere Sachen macht oder mit dem Kopfhörer im Ohr an einer stark befahrenen Straße vorbeigeht.
Bush: Verstehe. Wobei, im Auto Musik zu hören, ist für mich eigentlich das Schönste, vorausgesetzt, dass man nicht im Stau steckt. Ich mag das Gefühl, auf Reisen und unterwegs zu sein und dabei Musik zu hören. Ein gutes Album muss mir genau dieses Gefühl vermitteln, mich mitnehmen auf eine Reise.
Ihre neuen Songs sind mitunter 14 Minuten lang. Gibt es jemanden im Musik-Geschäft, der Ihnen sagt: "Was soll der Quatsch, diese langen Lieder spielt kein Radiosender?"
Bush: Ich bin in der priviligierten Situation, dass ich autonom bin. Ich produziere meine Alben selbst und gebe sie der Plattenfirma erst dann, wenn sie fertig sind. Die haben schon vor langer, langer Zeit aufgegeben, mich mit Deadlines oder sonstigen Vorschriften unter Druck zu setzen.
Die Plattenfirma EMI war in all den Jahren Ihre künstlerische Heimat. Jetzt wird der Konzern zerschlagen, soll unter den Konkurrenten Universal und Sony Music aufgeteilt werden. Sorgen Sie sich um Ihre Zukunft?
Bush: Das nicht. Aber die Meldungen haben mich sehr traurig gemacht. EMI war schließlich die letzte große englische Plattenfirma, die irgendwie überlebt hatte. Jetzt nicht mehr. Andererseits kann ich der jüngsten Entwicklung auch etwas Positives abgewinnen. Denn so wie es aussieht, wird EMI zum Teil in Universal Music aufgehen. Das ist ein starkes Unternehmen, das den Kopf über Wasser hält, während andere untergehen. Und noch wichtiger: Es ist ein Musik-Unternehmen und keine Wurstfabrik. Sie haben das Know How, eine andere Plattenfirma zu integrieren.
Eine Zeitlang stand sogar zur Debatte die zu EMI gehörenden Abbey Road Studios zu verkaufen, was für viele ihrer Landsleute in etwa so dramatisch gewesen wäre, als hätte man die Tower Bridge verschachern wollen.
Bush: Das wäre nun wirklich eine Tragödie gewesen. Ich habe selbst immer wieder in den Abbey-Road-Studios gearbeitet, ich bin ein großer Fan des Studios. Die Beatles und Pink Floyd haben dort aufgenommen. Jedes der Studios in dem Gebäude hat einen unnachahmlichen Klang. Aber diese Krise betrifft ja nicht nur die Musik-Branche. Diese global Finanz- und Schuldenkrise macht uns allen Angst. Diese ständigen Umwälzungen, von denen niemand weiß, wo sie uns hinführen. Diese fundamentale Unruhe, die alles zu durchdringen scheint.
Die Klänge Ihrer Lieder sind ein bisschen wie Balsam für beunruhigte Gemüter. Die Inhalte Ihrer Songs dagegen bizarr, verstörend. In "Misty" singen Sie, wie es ist, Sex mit einem Schneemann zu haben, der Ihnen nach einer Liebesnacht unter den Händen wegschmilzt. Wie kommt man auf sowas?
Bush: Jedenfalls nicht, indem man sich Lieder wie "Frosty the snowman" anhört. (lacht) Es ist schon kurios, dass gerade dieses Lied, die Vorstellungskraft vieler Ihrer Kollegen enorm zu beschäftigen scheint. Das amüsiert mich sehr. Als ich den Song schrieb, dachte ich zunächst: Was für eine lächerliche Idee! Dabei ist es ein sehr düsterer Song, wie viele der anderen Lieder.
Haben Sie je einen Schneemann geküsst?
Bush: Ja. Sie nicht?
Kann mich nicht erinnern.
Bush: Da ist Ihnen was entgangen. Schnee hat für mich etwas Magisches.
Ihr Schneemann hat aber auch etwas Gespenstisches, Vergängliches. In einem anderen Lied singen Sie von einem seltsamen Liebespaar, das durch die Jahrhunderte reist und nie zueinander findet, von Ungeheuern in einem See und von der Suche nach dem mysteriösen Yeti. Was fasziniert Sie an solchen Grusel-Geschichten?
Bush: Bei dem Yeti-Song interessierte mich vor allem die Frage, ob er wirklich existiert oder nicht. In den USA gibt es den Bigfoot-Mythos, die Schotten haben Loch Ness. Diese fantastischen Kreaturen, inspirieren mich sehr.
Es gibt eine Website, die Ihre Vorliebe für Horrorfilme und deren Wirkung auf Ihre Songs akribisch analysiert. Jagen Sie Ihren Hörern gerne Angst ein?
Bush: Das ist wohl auch ein eher verzerrtes Bild meiner Vorlieben und Einflüsse. Man muss es schon präzisieren. Moderne Horrorfilme beispielsweise mit all ihren blutrünstigen Effekten kann ich nicht ausstehen. Ich mag es nicht, wenn mir Filme auf eine unangenehme Weise wirklich Angst einjagen.
Können einem Horror-Filme auf eine angenehme Weise Angst einjagen?
Bush: Durchaus. Ich weiß noch genau, wie ich mir früher alte britische Horror-Filme im Fernsehen ansah, die sogenannten Hammer-Horror-Filme.
Die so hießen, weil sie von den britischen Hammer-Studios produziert wurden, die Dracula-Filme mit Christopher Lee aus den 50ern und einige Frankenstein-Verfilmungen zählten dazu.
Bush: Ja. Mein absoluter Lieblings-Horrorfilm ist allerdings bis heute "Der Fluch des Dämonen". Ich weiß gar nicht, ob das ein Horror-Film im klassischen Sinn ist. Viele dieser alten Filme sind einfach gut gemacht. Es gibt nur wenige Special Effects darin, aber Jacques Tourneur, der Regisseur vom "Fluch des Dämonen" hat dennoch eine ganz eigenwillige Atmosphäre entstehen zu lassen. Das liebe ich an diesem Film. Es ist wie bei einer guten Autofahrt, er nimmt mich mit auf eine Reise.
In dem Duett "Snowed in at Wheeler Street" lassen Sie Elton John als Ihren enigmatischen Liebhaber antreten. So schaurig-schön hat man ihn selten singen gehört. Wie haben Sie ihn dazu gebracht? Haben Sie ihm vorher zur Inspiration den "Fluch des Dämonen" gezeigt?
Bush: Ideen haben Sie! Elton ist mein größter Held. Ich besitze alle seine Alben. Mein größter Wunsch war immer, wie er Piano spielen zu können. Ich war überglücklich, dass er zugesagt hat. Als er kam, habe ich gar nichts groß gemacht. Na gut, ein bisschen schon. Ich habe seinen Gesangsteil in einer tieferen Tonart geschrieben, als die, in der er sonst singt.