Kammerspiele Magdeburg Kammerspiele Magdeburg: So schön war die Zeit des permanenten Beginnens
MAGDEBURG/MZ. - Dieses Haus war ein greifbares Wunder, das auch der eifrigste Beobachter nur als Paradoxon beschreiben konnte: "Utopie braucht einen Ort" nannte Friedemann Krusche sein Kapitel über die Freien Kammerspiele, mit dem er vor weit mehr als einem Jahrzehnt seine Magdeburger Bühnengeschichte abschloss.
Da war das Theater, das der Kritiker als Raum für Entdeckungen feierte, noch nicht mal zehn Jahre alt - und hatte seine Halbwertzeit bereits überschritten. In diesen Tagen nun wäre der 20. Gründungstag der "Kammer" zu feiern - und weil die in alle Richtungen verstreuten Protagonisten des Ensembles noch immer von jener Zeit des permanenten Beginnens zehren, erinnern sie sich im Magdeburger Forum Gestaltung an das Jubiläum.
Es war die Euphorie der Nachwendezeit, in der sich eine Gruppe von jungen Schauspielern vom Theaterkombinat der einstigen Bezirksstadt lossagte und gemeinsam mit dem künstlerischen Leiter Wolf Bunge das kleine Haus am Breiten Weg als eigene Spielstätte reklamierte. Dass der Stadtrat der offiziellen Gründung im August 1990 zustimmte, war um so bemerkenswerter, als das Haupthaus am Universitätsplatz kurz zuvor einem Großbrand zum Opfer gefallen war - und die Magdeburger Bühnen eigentlich dringend eine Ersatzspielstätte gebraucht hätten. Aber letztlich überzeugten die Energie und die Lust an der Selbstausbeutung, mit der die politischen und ästhetischen Separatisten hier zu Werke gingen: Wo die Routine abgewirtschaftet hatte, öffnete sich Raum für das Experiment.
Und ein Experiment war es zweifelsohne, vergleichbar bestenfalls mit dem Theaterhaus Jena: ein hoch ambitionierter, von vielen Ur- und Erstaufführungen getragener Spielplan, der durch eine handverlesene Schar von Regisseuren - neben Bunge auch Hermann Schein, Axel Noack und Axel Richter - geprägt und von hoch begabten Protagonisten getragen wurde. Binnen kürzester Zeit verschaffte sich das Haus überregional Aufmerksamkeit - auch und vor allem durch nächtelange Spektakel und grandiose Open-Air-Inszenierungen, mit denen die Kammerspieler tief in den Stadtraum griffen. Die Elbe und das verlassene Gelände des Sket-Kombinats, ein Stadion und ein Freibad waren nur einige der Schauplätze, auf denen Spuren der Geschichte freigelegt und lustvoll nachgezeichnet wurden. Dass im Jahr 2004 - bereits unter der Intendanz des Bunge-Nachfolgers Tobias Wellemeyer - Schluss war, schien folgerichtig: Immerhin hatte man "die eigenen Geschichten zu Ende erzählt", wie es Bunge einst gefordert hatte. Und de facto übernahmen die Kammerspiele nun das Große Haus, das Beiboot schleppte den dümpelnden Tanker in die gemeinsame Zukunft als Theater Magdeburg - eine Wendung, die nicht zu den schlechtesten Pointen der deutschen Bühnengeschichte zählt. Auf dem Höhepunkt ihres Ruhms hatten die Theatermacher übrigens einst den Slogan "In der Kammer brennt noch Licht" plakatiert. Der Widerschein ist bis heute sichtbar.