Jubiläum Jubiläum: Wege aus dem Gefühlsstau
Halle/MZ. - Man geht wohl nicht fehl, in ihm eine personifizierte Erfolgsgeschichte des oftmals geschmähten, zurückgesetzten und sich zurückgesetzt fühlenden Ostens zu erkennen - mit dessen Fehlstellen und Defekten, persönlichen wie gesellschaftlichen, er sich schon zu DDR-Zeiten befasst hat. Hans-Joachim Maaz nimmt eine Feststellung wie diese mit gewisser Verlegenheit an: "Wenn das so ist", sagt der Chefarzt der Klinik für Psychotherapie und Psychosomatik im Diakoniewerk Halle, dann müsse auch dies festgestellt werden: "Wir hatten hier, in diesem Haus, eine Wende nicht nötig."
In seiner Klinik, die ihm Fluchtort vor der SED mit ihrem Allmachtswahn war, hat er seit 1980 etwas aufgebaut, das damals sehr ungewöhnlich war, auch unter dem Dach der Kirche. Galt dem Staat die Psychoanalyse als suspekt, brauchte Maaz anfangs auch Kraft, um Zweifel seiner christlichen Arbeitgeber zu überwinden. Sogar ein Bischof hat einmal nachsehen wollen, ob das, was hier geschah, auch im rechten Glauben sei.
Schließlich betrieb er weder ein klassisches psychiatrisches Krankenhaus noch eine Seelsorgeklinik. Aber, sagt Maaz: "man konnte innerhalb der Diakonie argumentieren und Recht bekommen, wenn man überzeugte". Dass er mit seiner Arbeit quasi bruchlos in der Ordnung des Westens angekommen ist, erklärt sich für ihn aus der Herangehensweise: "Wir haben uns schon immer auf menschlichen Konfliktebenen bewegt, die in der Tiefe unabhängig sind von gesellschaftlichen Verhältnissen, aber unterschiedlich gefärbt." Hätten in der DDR Hoffnungslosigkeit und Depressionen als Folge von Repression die Anlässe für Krankheit abgegeben, dominierten heute Konkurrenzdruck, Sozialneid und Kränkungserlebnisse. Damals wie jetzt aber geht es Maaz darum, "Menschen zur Offenheit zu ermutigen, um aus dem Gefühlsstau herauszukommen."
Denn das Verdrängen ist geblieben, auch wenn die Anlässe nun andere sind. Hat der DDR-Bürger beizeiten das Lügen gelernt, muss er sich heute um eine Fassade kümmern, um "gut drauf zu sein, um sich verkaufen zu können". Wenn Maaz und sein Team aber einen Leidenden zu mehr Ehrlichkeit gegenüber sich selbst bringen und er seine Ängste zu akzeptieren bereit ist, "darf er diese doch nicht auf den Markt tragen" - ein Dilemma, das Maaz natürlich nicht generell aufheben kann. Aber einen Lösungsansatz hat er schon: "Das Wichtigste ist, das individuelle Problem vom Gesellschaftlichen zu trennen", was im glücklichen Falle einen reifen, auch politisch denkenden Menschen und kritischen Wähler hervorbrächte. Doch er sagt auch: "Je mehr man in Rollen festgelegt ist, Macht ausübt, desto weniger ist man bereit, dies noch kritisch zu reflektieren." Hier bewegt sich Maaz, stets klar und anschaulich, aber gern auch zuspitzend in der Formulierung, im Spannungsfeld zwischen Erkennen und Träumen, das weiß er wohl. Und hier liegt auch die Munition für Anfeindungen, die ihn kränken und manchmal sogar mutlos machen.
Aber da gibt es eben auch "ein unorganisiertes Netzwerk" von Menschen, die ähnlich wie er empfinden, denen seine Arbeit hilft. "Dafür lohnt es sich", sagt Maaz. Wer seine Bücher gelesen oder ihn in Talkshows erlebt hat, weiß: Er ist besessen von seiner Arbeit, vom Wissen über Menschen, das er angehäuft hat und loswerden muss: "Ich ersticke sonst daran." Nun muss er loslassen, er geht in den Ruhestand. Das wird ihm schwerfallen. "Aber das Älterwerden setzt eine Zäsur - selbst, wenn man sie um ein Jahr verschöbe, die Auseinandersetzung mit einer neuen Lebensphase ist unausweichlich".
Maaz hat sich natürlich Brücken gebaut. Er wird weiter wissenschaftlich arbeiten und ein neues Buch ist auch in Vorbereitung. Um "Sexualität und Beziehung" soll es darin gehen, ein "heikles Thema", das ihn schon lange "drückt" und von dem er glaubt, dass er es jetzt abarbeiten kann - ebenso direkt, zuweilen schockierend wie in der "Liebesfalle", dem zuletzt erschienenen Band. Und einen Trost gibt er sich selbst mit in den Ruhestand, neben all der Anerkennung und den lobenden Worten, die es noch geben wird: "Die Rente ist so etwas wie ein Stipendium für ein selbstbestimmtes Leben".