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Jubiläum Jubiläum: Von Knöpfen und Köpfen

Von Andreas Hillger 31.08.2007, 16:48

Halle/MZ. - Den fackelbeschienenen Aufmarsch des nationalsozialistischen Nachwuchses, der zuvor vom Reichsjugendführer Baldur von Schirach auf Adolf Hitler eingeschworen worden war. Den Wiederaufbau der Stadt und die Weimartage der Freien Deutschen Jugend. Und immer wieder Kränze und Blitzlichter, die vor dem Doppel-Standbild für Johann Wolfgang Goethe und Friedrich Schiller niedergelegt oder ausgelöst wurden . . .

Das Weimarer Denkmal hat das populäre Bild vom klassischen Dichter-Paar über Generationen geprägt und ist als eherner Schulterschluss zwischen dem maßvollen Meister und dem stürmerischen Freigeist die Ikone des humanistischen deutschen Bildungskanons geworden. Dabei sah es lange Zeit so aus, als würden die ehrgeizigen Pläne für ein solches Monument an finanziellen wie ästhetischen Diskussionen scheitern. Sage und schreibe drei Jahrzehnte vergingen zwischen der ersten Erwähnung der Idee bis zur Enthüllung am 4. September 1857. Dass Goethe selbst seinen Anteil an dieser standesgemäßen Würdigung hatte, kann nicht bewiesen - angesichts seines instinktsicheren Eintretens für den eigenen Nachruhm aber mit Recht gemutmaßt werden.

Immerhin hatte er Christian Daniel Rauch bereits 1820 für ein Denkmal Modell gesessen, das in seiner Geburtsstadt Frankfurt am Main errichtet werden sollte, aber erst nach Goethes Tod 1844 von Ludwig Schwanthaler realisiert werden konnte. Was lag da näher, als den autorisierten Bildhauer auch mit dem Denkmal für den Olymp von Sachsen-Weimar zu betrauen? Tatsächlich verfolgte Rauch den Plan bis 1852 und hüllte die Dichter - analog zu seinen Frankfurter Entwürfen - in antike Gewänder, wobei er sie wahlweise mit Schriftrollen und Lorbeerkränzen ausstattete. Diese Zunftzeichen der Genies sollten später noch für ebenso viel Zündstoff sorgen wie die Frage nach den Trachten der Dichter. Als sich nämlich nach 1848 der kunstsinnige (und wegen einer Affäre mit der Tänzerin Lola Montez eben zurückgetretene) König Ludwig I. von Bayern in die Bemühungen einschaltete, wurde die versprochene Schenkung von "Navarin Kanonen-Metall" mit klaren Ansagen verbunden: Die Dichter hätten in deutschen Kostümen zu erscheinen - was beispielsweise Johann Gottfried Herder einst mit dem giftigen Bonmot kommentiert hatte, die Schöpfer solcher Figuren seien immerhin gute "Kommißschneider".

Und außerdem stünde - wenn überhaupt - doch jedem der Dichter ein eigener Kranz zu. Rauch, der von den Eingriffen in seine künstlerische Freiheit offenbar entnervt war, verzichtete dankend - und empfahl seinen Schüler Ernst Rietschel, der sich gerade durch sein Braunschweiger Lessing-Denkmal Ansehen erworben hatte.

In fünfjähriger Arbeit glückte es Rietschel offenbar, alle Wünsche zu befriedigen - und dennoch seine eigene Handschrift zu bewahren. Seine Lösung für den "kitzlichen Punkt", wie man vier Beine in Untersicht am besten zueinander stellen könne, ist der beste Beleg für den Erfindungsreichtum des Bildhauers: Rietschel sorgte mit den verschiedenen Rockschößen von Goethe und Schiller nicht nur für unterschiedliche "Massenwirkung", sondern fügte - im Rücken der Dichter - einen Baumstumpf hinzu, der dem Blick zusätzlichen Halt gibt. Dass er den Hofrat Goethe freilich in formellerem Habitus darstellte als den Privatmann Schiller, sollte schon bald für einen neuen "Kostümstreit" sorgen: Der offene Knopf an Schillers Weste habe, so wurde drei Jahrzehnte beklagt, einen wahren Wettstreit der Epigonen erzeugt. Die jüngeren Schiller-Denkmäler hätten als Ziel vor Augen, "einander in der saloppen Darstellung seiner äußeren Erscheinung zu überbieten".

Dass Rietschel diese Tendenz vorhergesehen haben könnte, entdeckten Restauratoren erst viel später: Auch bei Goethe sind - dem normalen Betrachter geschickt verborgen - am rechten Hosenbein der Kniebundhose und an der Weste unter der Hand mit dem Lorbeer - zwei Knöpfe offen. So zwinkert ein Meister seines Fachs der Nachwelt zu, der er das Erwartete gegeben und zugleich mit einem ironischen Kommentar versehen hat.

Die wichtigste Leistung aber zeigte sich in jenen Jahren, als deutsche Diktaturen je nach Tendenz einen Favoriten unter den Dichtern küren wollten. In Weimar war Goethe ohne Schiller - und Schiller ohne Goethe nicht zu haben. Die Nahtstellen an den Armen und Köpfen sind nur für den Fachmann zu erkennen, auf den Laien wirken sie im Griff nach dem Lorbeer untrennbar vereint. Im Herbst 1989 wurden die beiden Poeten, die der Zerstörung Weimars im Zweiten Weltkrieg unter einer Art Schilderhäuschen getrotzt hatten, sogar zu Kronzeugen der Wende. "Wir bleiben hier", stand auf dem Transparent, das man ihnen über die Köpfe gehängt hatte. Ein Zeichen des Beharrens, das einer poetischen Ironie nicht entbehrte.