Johannes R. Becher Johannes R. Becher: Jena erinnert an den Autor der DDR-Nationalhymne

Jena - In diesem Jahr ist an den 125. Geburtstag des Dichters Johannes R. Becher zu erinnern, im kommenden Jahr an die 100. Wiederkehr seines einzigen längeren Aufenthalts in Jena. Durch „seine Studienzeit“ habe er sich 1917/18 „unserer Stadt besonders verbunden gefühlt“, behauptet jene Urkunde, die ihm anlässlich der Verleihung der Ehrenbürgerwürde durch die Stadt Jena im Jahr 1951 überreicht wurde.
Richtig ist: Der junge Mensch, der sich Anfang des 20. Jahrhunderts einen Namen als Lyriker machte, kam im Ersten Weltkrieg nach Jena, um sich in der psychiatrischen Klinik von seiner schweren Drogensucht kurieren zu lassen. 40 Morphiumspritzen am Tag habe er damals gebraucht, berichtet der Publizist und Becher-Biograf Jens-Fietje Dwars, der unter dem Titel „Fahndung nach einem Ehrenbürger: Johannes R. Becher in Jena“ eine Ausstellung im Romantikerhaus Jena gestaltet hat.
Es ist also eine freche Lüge, die da auf ewig in der Bechers Ehrenbürger-Urkunde steht. Wohl auch, um dem so Geehrten eine öffentliche Peinlichkeit zu ersparen, wurde ihm das Dokument nicht bei einem offiziellen Akt in der Saalestadt, sondern von einer Jenaer Delegation in Berlin überreicht. Diese Ehre war nur eine vielen, die der Verfasser der Nationalhymne („Auferstanden aus Ruinen“, 1949) erste Kulturminister der DDR in Jena erfuhr: 1958 ließ die Universität eine weitere folgen, als sie ihn zu ihrem Ehrensenator ernannte. Auch ein Titel, der nichts kostete, aber Johannes R. Becher einmal mehr als den „Dichter des Friedens und des Sozialismus“ feierte.
Auch posthum hagelt es Ehrungen
Nach seinem Tod 1958 wurde Becher nicht nur mit einem Staatsakt in Ost-Berlin zu Grabe getragen – den er sich testamentarisch verbeten hatte. Und im Jahr 1961 fragte Jenas Volksbildung im Namen der Erweiterten Oberschule „Am Anger“ bei der Becher-Witwe schriftlich an, ob die Schule nach dem verdienstvollen Nationaldichter benannt werden dürfe.
„Einverstanden“ schrieb Lilly Becher unter den Brief, der als Original in der Jenaer Schau zu sehen ist. Doch damit nicht genug: Posthum hagelte es weiter derart viele Ehrungen, dass der Mensch hinter dem Geehrten in Vergessenheit geriet, so das Fazit von Jens-Fietje Dwars, der 1998 die mehr als 860 Seiten umfassende Becher-Biografie „Abgrund des Widerspruchs“ vorlegte.
Der Aufenthalt in der Jenaer Psychiatrie 1917/18 blieb die einzige nennenswerte Verbindung ins Saaletal. „Hier (in Jena) ist die Geburtsstätte des politischen Menschen in mir“, beteuerte Becher 1950 bei einer Wahlrede im Jenaer Volkshaus mit Blick auf seinen Eintritt in die Kommunistische Partei Deutschlands, den er in Jena vollzogen hatte. Den Psychiatrie-Aufenthalt erwähnte er in späten Jahren mit keinem Wort.
Der junge Becher - der 1911 mit der Kleist-Dichtung „Der Ringende“ sein literarisches Debüt vorgelegt hatte - konnte nur dank der großzügigen finanziellen Unterstützung des Weimarer Weltbürgers Harry Graf Kessler in Jena von den Drogen entwöhnt werden. „Vorläufige Diagnose: Morphinismus“ steht in der Krankenakte des „Dr. phil. Johannes Robert Becher“, wie er sich, einen unberechtigten Doktortitel führend, bei Aufnahme vorstellte. Bechers Arzt war jener Otto Binswanger, der in den Jahren 1889/90 den geistig umnachteten Philosophen Friedrich Nietzsche behandelt hatte. Wobei das Wort „Behandlung“ im Falle Bechers nicht angebracht ist: Die Entziehung erfolgte „kalt“, also ohne Substitutionsmittel, wie sie heute üblich sind. Auch nach den psychischen Ursachen der Sucht wurde damals nicht gefragt.
All diese biografischen Details, die kurios anmuten würden, wären sie nicht Teil der Lebensträgodie des Johannes R. Becher, werden in Jena mit großer Sachkenntnis und vielen Illustrationen vorgestellt. Die Schau wäre unvollständig, würde sie nicht auch an jene Becher-Büste von Fritz Cremer erinnern, die 1966 an der Goethe-Allee und 1983 dann vor dem Studentenwohnheim „Johannes R. Becher“ in Jena-Lobeda aufgestellt wurde. Dort hat sie, bald von Büschen überwachsen, Wende und Einheit im Dornröschenschlaf überstanden, ehe sie 2004 gestohlen wurde. Seither gilt sie als verschollen.
Ehrenbürger Jenas ist Becher freilich noch immer, wenn auch eher beiläufig. Die Stadtverordnetenversammlung sprach sich im März 1991 mit nur einer Stimme Mehrheit für den Verbleib des Dichters auf der Ehrenliste aus.
Dass Becher nicht in Bausch und Bogen verdammt wurde, habe, so berichten Augenzeugen, wohl an einem Parlamentarier gelegen, der vor dem Auditorium Becher-Gedichte mit Jena-Bezug vorgetragen und damit manchen Abgeordneten einsichtig gestimmt habe. Doch was man mit diesem Ehrenbürger anfangen soll, scheint in der Stadt heute niemand zu wissen, meint auch Kurator Dwars. In der DDR hoch geehrt, ja zu Tode gefeiert, und nach 1989 tief gefallen, erinnert kaum noch etwas an den Dichter Johannes R. Becher.
Künstler deuten den Dichter
Anders in der bildenden Kunst. Ein Raum der kleinen, aber feinen Ausstellung ist Gemälden und Grafiken zu Becher gewidmet, die zeigen, dass diese Persönlichkeit Künstler immer aufs Neue zum Nachdenken anregt: Sei es Ludwig Meidner 1916, Bernhard Heisig 1979 oder der hallesche Maler Uwe Pfeifer 1992 – jeder macht sich mit bildnerischen Mitteln seinen eigenen Reim auf den Dichter, der mehr war als ein Sänger, der Lenin und Stalin gehuldigt und das DDR-Staatslied geschrieben hat.
„Fahndung nach einem Ehrenbürger: Johannes R. Becher in Jena“, bis 6. November, Romantikerhaus Jena, Unterm Markt 12a, Di-So 10-17 Uhr
(mz)