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Johann Gottfried Herder Johann Gottfried Herder: Ein Mann, zwei Seelen

Von Christian Eger 17.12.2003, 16:02

Halle/MZ. - Es wäre ein Leichtes, Herder als einen seiner Umwelt schwer erträglichen Menschen vorzuführen. Hinweise gibt es in Fülle. Karl August Böttiger, Klatschmaul der Weimarer Klassik, notiert 1794: "Er hat viel Herrschsüchtiges und einen grossen Egoismus, dem nichts gut dünkt, dem er nicht selbst das Siegel der Billigung aufgedrückt hat". Aber 1795 steht auch das geschrieben: "Nirgends, sagte Herder fühle ich die zwei Seelen in mir lebhafter, als in schlaflosen Stunden des Nachts".

Zwei Seelen also, ein Widerspruch? Wo sollte der zu finden sein? Zwischen äußerem Amt - von 1776 an als Generalsuperintendent, Prediger, Schul-Aufseher in Weimar - und innerem Anspruch: nämlich der, ein Lehrer der Deutschen, ja der Menschheit zu sein? Arno Schmidt meinte, bei Herder läge die Wahrheit nicht in der Mitte, sondern zu gleichen Teilen auf beiden Seiten. "Das Geheimnis ist: Herder war Beides!" Gleichermaßen hinreißend als Künder und Kritiker in eigener Sache. Kurzum, ein überaus empfangsbereiter Hochintellektueller; verblüffend anregend bis heute, letzteres in einem Maße, das "herderesk" zu nennen wäre.

Johann Gottfried Herder: 1744 im ostpreußischen Mohrungen geboren. Kind einfachster Eltern: Vater Glöckner, Mutter Tochter eines Hufeisenschmieds. Stets im Nacken: die preußische Wehrpflicht. 1762 Abgang nach Königsberg, Studium der Theologie und Literatur, Vorlesungen bei Kant. 1764 erst Lehrer, dann Prediger in Riga, 1771 Konsistorialrat in Bückeburg, von wo aus Goethe den Generationsgenossen nach Weimar ruft. Herders "Journal meiner Reise 1769" liest sich wie eine Gründungsakte des Sturm und Drang: vibrierend vor Ehrgeiz und Sendung, Wissen und Ahnung.

Herder, der sich beklagte, dass er in Weimar nur "unter dem alten sächsischen Dreck zu wühlen" habe, zeigte ein intellektuelles Format, das auch andernorts den Rahmen gesprengt hätte. Theologisch ein oberflächlich getarnter Pantheist, ästhetisch ein Mann von materialistischer Tendenz (weshalb Schiller ihn ablehnte), politisch bereits ein Liberaler, ganz ein Mann der Republik. Bis heute hat Herder, der mit den "Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit" und den "Briefen zu Beförderung der Humanität" seine in Sachen Volkspoesie, Nation, Sprache und Schöpfung Grund legenden Schriften lieferte, überall dort Konjunktur, wo geistig-kulturelle Wendeprozesse verhandelt werden.

Dabei war Herder kein Mann eines naiv linearen Fortschrittsdenkens: Gewinn und Verlust halten sich bei ihm die Balance, gehören notwendig zur "Anerkennung der Menschheit im Menschen". Im Stärken einer sich selbst als Zweck setzenden Individualität und in der Absage an einen menschenfernen Universalismus ist Herders große Störkraft zu finden. "Selbst das Bild der Glückseligkeit wandelt sich mit jedem Zustand und Himmelsstriche. Jede Nation hat ihren Mittelpunkt der Glückseligkeit in sich, wie jede Kugel ihren Schwerpunkt." Heute vor 200 Jahren starb Herder 59-jährig in Weimar, wie er sagte, als ein "grenzenlos enttäuschter Mensch".