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Ismail Kadare Ismail Kadare: «Den politischen Autor gibt es nicht»

Von Sabine Glaubitz 23.01.2006, 12:47
Der in Frankreich lebende albanische Schriftsteller Ismail Kadare feiert am 27. Januar 2006 seinen 70. Geburtstag. (Foto: dpa)
Der in Frankreich lebende albanische Schriftsteller Ismail Kadare feiert am 27. Januar 2006 seinen 70. Geburtstag. (Foto: dpa) dpa-Zentralbild

Paris/dpa. - Ismail Kadare rief zur Umerziehung der Serben auf,kämpfte im Land der Skipetaren gegen den Stalinismus und für dieDemokratie. Er gilt als Chronist der albanischen Vergangenheit undGegenwart und als prominentester zeitgenössischer Schriftstelleralbanischer Sprache. Dennoch wehrt sich Kadare gegen das Etikett«politischer Schriftsteller». «Ich bin einfach nur einSchriftsteller. Den politischen Autor gibt es nicht, ebenso wenig wieden historischen Schriftsteller oder den Krimiautor. Das sind allesnur Schriftsteller. Einige sind gut, andere sind schlecht.»

Kadare, in der Nacht zum 28. Januar 1936 geboren (über den exaktenGeburtstag 27. oder 28. sind sich die Biografien uneins), begehtjetzt seinen 70. Geburtstag.

Blickt man auf die schriftstellerische Bilanz Kadares, so gehörtder studierte Literaturwissenschaftler eindeutig in die Kategorie der«guten Schriftsteller», denn er kann auf mehr als 25 Romane undzahlreiche Erzählungen zurückblicken, die in mehr als 20 Sprachenübersetzt wurden. In Deutschland wurde der kleine, bescheiden undgrazil wirkende Schriftsteller, der schon seit langem für denNobelpreis im Gespräch ist, erst in den 80er Jahren mit seinenBüchern «Die Festung», «November einer Hauptstadt» und «DerSandkasten» bekannt.

Der Zürcher Ammann Verlag hat den Preisträger des erstmals 2005vergebenen und mit 90 000 Euro dotierten Man Booker InternationalPrize - ein Ableger des renommierten in London vergebenen Booker-Preis - deshalb auch fest in seinem Programm. So sind dort in denletzten Jahren unter anderem «Die Brücke mit den drei Bögen», «Derzerrissene April» und das erst im vergangenen September erschieneneWerk «Das verflixte Jahr» erschienen.

Obwohl seine Arbeiten als zentrales Thema die politische undgesellschaftliche Situation des Balkanstaates haben, wehrt sichKadare dagegen, dass man ihn zum Romancier Albaniens macht. «Sicher,meine Romane finden in einer bestimmten geographischen Realitätstatt. Doch glaube ich nicht, dass ich mehr über mein Land rede alsBalzac, Goethe oder Tolstoi.»

In seinen Veröffentlichungen warnt Kadare in einermetaphernreichen Sprache vor Fremdherrschaft und beschreibt dieGefahren, die von einem zu Selbstgefälligkeit und bloßem Selbsterhaltverkommenen Überstaat ausgehen - was ihm über Jahre hinwegPublikationsverbote einbrachte. Zum Verräter wurde er jedoch erst mitdem 1973 erschienenen Werk «Der große Winter» erklärt. Der Titelmeint den Winter 1960/1961, in dem es zum Bruch zwischen derSowjetunion und der sich von ihr bedroht fühlenden Volksrepublik kam.Obwohl er darin noch Hymnen auf den damaligen kommunistischenParteichef Enver Hodschas schrieb, blieb das Buch bis 1977 verboten.Nach langem vergeblichen Kämpfen für mehr Demokratie flüchtet er 1990schließlich nach Frankreich.

Kadares politische Rolle in Albanien war nicht immer unumstritten.Er war seit 1946 Mitglied der kommunistischen Partei der Arbeit,Parlamentsabgeordneter von 1970 bis 1982, gehörte alsVizevorsitzender der Nationalen Front an und hatte Zutritt zuminneren Zirkel des Regimes. Trotz seines politischen Engagementskonnte der Nationaldichter seine innere Freiheit und intellektuelleUnabhängigkeit bewahren.

Dass er 1990 floh, als das Regime des Hodscha-Nachfolgers RamizAlija Reisefreiheit und Demokratisierung versprach, erschien vielenunlogisch. «Sicher, ich hätte Albanien zu Lebzeiten Hodjas verlassenkönnen. Doch das hätte nichts bewirkt. Im Jahr 1990 jedoch, als ichmich dazu entschlossen hatte das Land zu verlassen, existierte dieMöglichkeit einer demokratischen Öffnung wirklich. Ich war davonüberzeugt, dass das Land einen Schock brauchte, um die letztenWiderstände abzubauen. Meine Auswanderung diente als Auslöser.Bereits zwei Monate später gingen die Studenten auf die Straße.»