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Interview mit Burhan Qurbani Interview mit Burhan Qurbani: "Mit dem Wort fängt es an"

08.05.2015, 08:49
Jonas Nay und Saskia Rosendahl in dem Film „Wir sind jung. Wir sind stark.“ von Burhan Qurbani
Jonas Nay und Saskia Rosendahl in dem Film „Wir sind jung. Wir sind stark.“ von Burhan Qurbani zorro Lizenz

Berlin/Halle (Saale) - Am Sonntag wird der Filmregisseur Burhan Qurbani (34, „Wir sind jung. Wir sind stark.“) im halleschen Operncafé auf dem Podium sitzen, wenn es ab 19 Uhr in einer gemeinsamen Veranstaltung der Mitteldeutschen Zeitung und des Neuen Theaters um Fremdenfeindlichkeit geht - und darum, was man dagegen tun kann. Qurbani, in Deutschland geborener Sohn politischer Flüchtlinge aus Afghanistan, ist eben in drei Kategorien für den Deutschen Filmpreis nominiert worden, darunter als Bester Film. Mit Burhan Qurbani sprach vor der Premiere seines Films, der in Halle gedreht wurde, Steven Geyer.

Herr Qurbani, Ihr Spielfilm „Wir sind jung. Wir sind stark.“ erzählt von einer Jugendclique, die bei den Ausschreitungen gegen das Asylheim in Rostock-Lichtenhagen 1992 zu Tätern wird. Sie zeigen, wie der Hass aus der Mitte der Gesellschaft entsprang. Bei Pegida in Dresden gibt es keine Gewalt. Aber Protestforscher haben das Klima ähnlich beschrieben, wenn Tausende gegen „Überfremdung“ demonstrieren. Taugt Ihr Film als Warnung?

Qurbani: Unser Film kommt zur Unzeit. Er wirkt wie ein aktuelles Statement, obwohl beim Arbeitsbeginn vor fünf Jahren nichts von NSU oder gar Pegida zu ahnen war.

Im Gegenteil, wir machten den Film, weil rechte Gewalt gerade kein Thema mehr war. Für meine Generation, jetzt Mitte 30, ist Lichtenhagen eine schattenhafte Erinnerung.

Aber fragt man bei der Generation meiner Schauspieler, heute um die 20, ist da gar nichts. Dagegen wollten wir ein Stück Erinnerungskultur setzen, auch Mahnung. Aber mit dem Anspruch, durch die Augen der Täter auf ihre monströse Tat zu schauen. Weil man auch das erzählen muss, um es zu verstehen. So wollten wir eine Geschichte über Rostock-Lichtenhagen hinaus erzählen, die nicht orts- und zeitspezifisch ist.

Was ist das Verallgemeinerbare?

Qurbani: Wie leicht Gewalt entstehen kann, wenn Menschenfeindlichkeit verbal legitimiert wird. Dort waren über Monate die Sinti und Roma beschimpft worden, die vor dem überfüllten Heim campieren mussten. Es wurden Flyer verteilt: „Wir müssen hier aufräumen, eine Protestaktion starten“, die einige Zeitungen abdruckten.

Einige Lokaljournalisten schrieben von berechtigtem Zorn auf die Asylpolitik. So etwas legt die Basis für den Ton einer Diskussion – und das passiert uns gerade wieder. Wir geben die Deutungshoheit über Fragen von Zuwanderung und Asyl an die „Spaziergänger“ in Dresden ab. Deren Jargon wird wieder salonfähig. Und mit dem Wort fängt es immer an.

Im Film lassen Sie einen Wäscherei-Chef über seine „Gastarbeiter“ sagen, gegen Asiaten habe er nichts, die seien fleißig. Das schrieb auch der frühere Berliner Finanzsenator Thilo Sarrazin. Wenn es mit Worten anfängt: War Sarrazins Erfolg eine Warnung vor Pegida?

Qurbani: Nein, mich hat Pegida völlig überrascht! Klar, solche Denkmuster schlagen Wurzeln. Auch indem die CSU schon vor einem Jahr Ängste vor Sinti und Roma schürte, die die EU-Freizügigkeit angeblich ausnutzen, hat sie Tabus aufgeweicht.

Aber deren Klientel scheint mir ein anderes zu sein als bei Pegida. Da sehe ich eher Parallelen zur reaktionären, bigotten Tea-Party-Bewegung in den USA, die auch Misstrauen gegen die Regierung sät und eine gewisse Nostalgie missbraucht.

Die Argumentation, der Frust, das offensichtliche Unwissen – als ich das plötzlich bei Pegida wiederfand, war ich verblüfft. Ich hätte nie gedacht, dass wir als liberale Europäer für so etwas anfällig sind.

(mz)

Matthias Brenner (l.) und Burhan Qurbani in Halle
Matthias Brenner (l.) und Burhan Qurbani in Halle
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